Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
keinem Binnenlandfleck gab. Plötzlich dachte er zum erstenmal wieder richtig an seinen Hof. Weizen und Roggen, die jetzt wohl schon gemäht auf den Feldern standen, hatte er noch gesät. Wie würde es daheim aussehen? Eine starke Spannung erfüllte ihn. Acht Monate hatte er nur an den Hof gedacht, wenn er Geld brauchte. Schlecht hatte er an ihn gedacht. Christiane war daran schuld. Was hatte es für einen Sinn, idiotisch da in einem kleinen Landhäuschen an einem Mecklenburger See zu hausen und nichts zu tun? In diesem Augenblick verstand er die ganzen vergangenen acht Monate nicht mehr. Es war immer dasselbe, sobald er sich mit Menschen einließ – und es mochten die besten von der Welt sein –, wurde er sich untreu und beging nur Dummheiten.
    |516| Übrigens war er jetzt vollkommen sicher, daß Wendland den Satz von den anständigen Menschen, die sich nicht in solche Lagen begeben, nie gesprochen hatte. Das war nichts wie eine Erinnerung an die häßlichen Träume der vergangenen Nacht. Hier, angesichts der geliebten Halbinsel, glättete es sich wieder einmal, wurde übersichtlich und klar.
    Es war seine dritte Heimkehr: Das erste Mal mit dem Vater nach der Typhuserkrankung in Haarlem, das zweite Mal mit Elise, als die Mutter ihnen mit fast schwarzer Stirn entgegentrat, nun heute das dritte Mal – allein.
    Aber er würde rasch alles ordnen. Elise konnte endlich zu ihrer Mutter ziehen, den Hof verlassen, dann kam Christiane … Und er hatte den Hof wieder und seine Arbeit.
    Es würde Christiane schon gefallen. Und eines Tages würden die Leute auch aufhören mit reden, namentlich, wenn erst die Scheidung ausgesprochen war. Dazu würden sie eines Tages ein Kind haben, einen Erben für den Hof, etwas Herrliches.
    Schön. Er würde heute noch auf den Bullenberg in die Sandgrube gehen. Er war überzeugt, die Botschaft, die dort für ihn lag, betraf das Kind.
    Der Zug fuhr eilig schnaufend durch das Land. Überall blitzte hinter Feldern, Wald und Dächern bald blau, bald grün, bald silbergrau die See auf …
    Es gab eine Stelle, kurz vor Kirchdorf, wo man einen kurzen Augenblick eine Aussicht auf den Warderhof hatte. Man mußte sehr aufpassen, die Stelle nicht zu verfehlen, der Zug verschwand sofort wieder in der Trasse, die in das Gelände einschnitt.
    Er paßte sehr gut auf – und setzte sich schwer, als habe ihn etwas gegen den Kopf geschlagen, wieder hin. Es war nicht möglich, ja es war unmöglich. Dies ging nicht. Es war Alkoholdunst aus der letzten Nacht …
    Er hatte viele Monate nicht mehr an Elise gedacht, jetzt dachte er an sie. Er hatte sie zum letztenmal am Weihnachtsfest des vergangenen Jahres gesehen. Er war zu den Wendlands |517| geritten. Wie hatte sie gerufen? »Ich verzeihe dir nie. Ich hasse dich!«
    Ach, Unsinn, so hatte sie nicht gerufen. Außerdem sagen Frauenzimmer leicht etwas Übertriebenes. Kein Mensch bringt es übers Herz, wegen vorübergehender Streitigkeiten sich so an hilflosem Gewächs zu versündigen.
    Der Zug fuhr langsamer. Da war die Kirchdorfer Windmühle, an der er in fünf Minuten vorübergehen würde. Nun bremsten die Wagen, und der Zug hielt.
    Er stand einen Augenblick in merkwürdiger Unentschlossenheit vor dem kleinen Bahnhofsgebäude. Er war jetzt vollkommen sicher, daß er sich eben bei dem raschen Blick geirrt hatte, übrigens würde er schon in fünf Minuten Gewißheit haben …
    Aber er ging nun doch nicht in der Richtung, er ging nicht nach dem Warderhofe zu, er ging nach Kirchdorf hinein. Jetzt waren die mürrischen und zornigen Geister der Nacht verflogen. Er ging achtsam, nicht übermäßig rasch, aber ohne sich um die Menschen auf der Straße zu kümmern.
    Er ging durch Kirchdorf, immer vom Hofe weg. Sein Gesicht hatte einen ernsten, etwas angespannten Ausdruck. Er war ein Mensch, dem eine wichtige Entscheidung bevorsteht, etwas, das über das ganze künftige Leben entscheidet. – Und jetzt ging er vor dem Richterspruch noch fünf Minuten vor der Tür des Gerichtssaals auf und ab. Natürlich, er würde die Tür schon aufmachen und die Entscheidung hören.
    Ein Weilchen stand er zögernd mitten auf dem Kirchdorfer Marktplatz und sah abwechselnd zu der Superintendantur und zum Schwedischen Hof. Die Superintendantur lag still wie schlafend hinter den gestutzten und verschnittenen Lindenkronen. Damals hatte er noch mit Christiane aus dem Fenster der Studierstube hinaussehen können. Jetzt war alles ganz mit Grün bedeckt. Wie die Bäume gewachsen waren seitdem!
    Er

Weitere Kostenlose Bücher