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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Korb lasse ich da ruhig stehen, der gewinnt durch persönliches Abholen auch nichts. Meine andere Idee ist viel besser …
    Er hat sich ausgedacht, daß er bis auf einen Rest von zwanzig |539| oder dreißig Morgen all sein Land verpachten wird – Pächter genug. All die Bauern können ja gar nicht genug Land kriegen, und nun noch solcher Boden. Und er wird auf drei oder fünf Jahre verpachten und sich die ganze Pachtsumme im voraus zahlen lassen, und mit dem Geld wird er den Hof langsam und vorsichtig wieder in Gang bringen.
    Das wird bestimmt was. Und in fünf Jahren bin ich dann soweit, daß ich alles wieder übernehmen kann, und brauche dann kein fremdes Geld mehr. Übrigens kriege ich bis dahin bestimmt wieder Hypotheken.
    Er pfeift gemütlich vor sich hin und schreitet in den Abend hinein. Er wird gut schlafen, fühlt er. Und die fünfundzwanzig Kilometer bis Stralsund sind gar nichts. Morgen um zehn Uhr ist er in der Stadt.
    Es war nicht eher als an diesem nächsten Morgen, es war genau dann, als er die ersten Bäckerläden Stralsunds unter sein aufmerksames Auge nahm, daß er die Feststellung machte, seine paar letzten Groschen waren nicht mehr da. Die Feststellung, wo sie geblieben waren, war nicht schwierig: ehe er seiner Schwiegermutter – der verwitweten Schütt – mit nacktem Arm die Kleider aus der Badestube gereicht hatte, waren von ihm die restgebliebenen fünfundneunzig Pfennige in einem Häuflein über der Badewanne auf der Glasplatte niedergelegt worden.
    Und wenn sie nicht gefunden sind, dann liegen sie da noch heute. Er war grade in der richtigen Stimmung, gallig grinsende Betrachtungen über die immer am falschen Platz sich betätigende Ordnungs- und Sauberkeitswut der Weiber anzustellen. Am Ende war ihm seine Frau nicht darum mit einem ganzen Hofinventar, totem wie lebendem, in die Welt gelaufen, daß seine Schwiegermutter ihn unter der Vorgabe, sich eines zerknitterten Anzugs zu erbarmen, nun auch noch um sein Allerletztes brachte. Dazu gibt es Sätze, Sprichwörter, Redensarten, die in ihrer schlichten Einfachheit etwas Niederschmetterndes haben, wenn man grade in der richtigen inneren Verfassung ist, sie sich eingehen zu lassen. Gäntschow |540| war vollkommen gegen Sprichwörter. Aber augenblicklich war er in der inneren Verfassung, und der schlichte Satz »Hunger tut weh« ging ihm widerstandslos ein. Er tat tatsächlich weh. An diesem Satz war nicht zu drehen und zu deuteln. Ein Mittagessen, um zwei Uhr des vorhergehenden Tages noch ein gewaltiges Plus, ist um zehn Uhr des folgenden nichts als ein schreckliches Minus.
    Gäntschow ging zum Hafen. Der Hunger hatte sein Gehirn Blasen treiben lassen, wunderliche Blasen. Er bildete sich ein, daß da vom Ausladen der Schiffe gewaltige Mengen Lebensmittel herumliegen müßten.
    Aber außer einem toten Dorsch und Apfelsinenschalen fand er nichts. An einer dieser Schalen kaute er, als er am Markt in das Hotel Zum Goldenen Löwen eintrat. Er schrieb sich in das Gästebuch ein als Johannes Gäntschow, Bauernhofsbesitzer aus Fiddichow. Und danach sah er denn wohl auch aus. Der Zimmerkellner fragte, ob man seine Koffer von der Bahn oder vom Dampfer holen sollte, und Gäntschow antwortete, nein, das sollte man nicht.
    Damit ging er in den Speisesaal und aß gewaltig. Dazu trank er zwei Flaschen Wein. Danach erhob er sich und ging aus dem Speisesaal, der Oberkellner stürzte ihm nach und bemerkte flüsternd, daß Essen sofort bezahlt würde …
    Gäntschow schnaubte fürchterlich durch die Nase, schrie: Regenwürmer, Bakterien, Mikroben – und die Sekunde, die der Ober angedonnert stand, genügte, daß er aus Speisesaal und Hotel kam. Vorsatz, Zechprellerei zu begehen, lag nicht vor. Dem widersprach schon die Eintragung ins Gästebuch, und ausgefüttert, wie er jetzt war, würde er in den nächsten drei Stunden Geld beschaffen. Sein Aufgabenkreis hatte sich freilich etwas verengert. Von fünf- bis zwanzigtausend Mark war er auf zehn bis zwanzig Mark geraten. Aber darum war seine Stimmung nicht schlechter.
    Diese Welt war genauso verdreht, wie sie sein mußte. Und kein Mensch konnte wissen, in was er noch hineingeriet. Jedenfalls war dies alles nicht langweilig. Die ganzen letzten |541| achtundvierzig Stunden hatte er sich nicht eine Minute gelangweilt, während die achtundvierzig Monate vorher – nun ja, manchmal war es auch ganz schön gewesen. Aber seltsam blieb es doch, wie rasch sich Gewesenes verbrauchte, unwahr wurde … Und wie sehr jedes

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