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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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herein. Er braucht mindestens zehn Jahre, um das wieder herauszuholen. Aber er wird es wieder herausholen.
    Plötzlich fällt ihm Christiane ein. Er hat in allen diesen Tagen kaum an sie gedacht. Aber jetzt fällt sie ihm wieder ein. Er ist damals aus ihrem Schlitten gesprungen. Nun zeigt es sich, er hätte nie wieder zu ihr einsteigen sollen. Dann war da das Sparkassenbuch von ihrem Vater – seltsame Zusammenhänge. Ohne das Buch hätte es keinen Harras gegeben, und ohne den Harras wäre alles anders gekommen.
    Nein, das Geld der Fiddes hat ihm nie Glück gebracht, aber dies ist kein Fidde-Geld – es ist gewöhnliches, schmutziges Berliner Wuchergeld. Komisch eigentlich, daß ein so |544| frisch gewaschener, säuberlicher Engländer sich auch mit Derartigem befaßt. Nun, er macht wohl auch seinen Schnitt dabei.
    Ich bin einverstanden, sagt Gäntschow. Ich werde dann unterschreiben.
    Eine halbe Stunde später sitzt er im Goldenen Löwen und schreibt. Inzwischen hat er schon den Inhaber eines Papierwarengeschäftes in Wut versetzt. Er hatte einen Schreibblock und Bleistift, Gesamtpreis fünfundachtzig Pfennige, gekauft und verlangt, man solle ihm auf tausend Mark herausgeben.
    Man geht nicht mit solchen Scheinen in unsere Läden! hatte der ehrbare Papierkaufmann geschrien. Man verhöhnt uns nicht in unserer Not.
    Nun aber sitzt Gäntschow da und schreibt. Er ist nicht etwa in Stralsund im Goldenen Löwen, er ist daheim auf Warderhof. Er geht von Stall zu Stall und schreibt.
    Acht Kühe, schreibt er. Vier tragende Färsen, schreibt er. Drei Melkschemel. Eine Dungforke. Eine Dungkarre, schreibt er. Zwölf Kuhketten, schreibt er. Ein Rübenschneider. Ein Ölkuchenbrecher. Vier Stalleimer. Sechs Melkeimer. Zwei Strickhalfter, schreibt er. Er sieht sich um im Stall. Zwei, nein, drei Glühbirnen …
    Und nun das Futter: Heu, Stroh, Schrot, Erdnußkuchenmehl, Soja-Schrot, Leinsamen, Salzsteine …
    Ach, dieser Mann, dieser große Mann von einem Zentner siebzig – da sitzt er und phantasiert, er rechnet! Er rechnet aus: soundsoviel Heu pro Tag und Kopf, die und die Futtermischung. Und wie hat er über seine junge Freundin Elise in verrauschten Klein-Kirschbaumer Zeiten gelacht, wenn sie einrichtete: ein Büfett mit oder ohne Aufsatz, was denkst du, ist besser, Hannes?
    Nun richtet
er
ein, aber er denkt nicht an das Vergangene, es gäbe wieder einmal gute Gelegenheit, eines jener Sprichwörter anzuwenden, gegen die er so ist: Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe … Aber auch diesmal ist er nicht |545| in der Lage, darüber nachzudenken. Er empfindet es nicht am eigenen Leibe. Elise würde vielleicht daran denken, wenn sie bei ihm säße, aber Elise sitzt in Oberbayern. In Tutzing.
    Er sitzt viele Stunden, er schreibt, er rechnet. Nein, jetzt braucht er keinen Alkohol. Von Zeit zu Zeit klingelt er und bestellt sich Kaffee. Sein Hirn ist hoch und klar. Nun fragen die Kellner auch nicht mehr nach Geld. Dieser Gast springt auf, stürzt an den Apparat, erkundigt sich nach Preisen, läuft wieder hinauf, schreibt, rechnet, hört nichts. Dann kommt er wieder hinunter und fragt den Portier nach Pferdehändlern.
    Wie der Nachmittag vorrückt, wird es lebhafter um sein Zimmer. Die Kunde hat sich ausgebreitet in der Stadt. Geld kann verdient werden, Provisionen, Stallgelder. Schwärzliche Pferdehändler, borstige Viehtreiber und rote Fleischer klopfen an seine Zimmertür und machen Angebote. Er schmeißt sie alle hinaus, dann erläßt er ein Verbot, jemanden zu ihm heraufzulassen. Und als auch das nichts hilft, riegelt er sich ein und ist taub für Verführungen.
    Aber nun wird es lebendig vor seinem Fenster. Aus der Ossenreyerstraße um die schöne Ecke des Rathauses in seiner Backsteingotik latschen mit ihren flachen Füßen Rinder, trappeln aufgeregt Pferde. Sie nehmen vor seinem Fenster Aufstellung, und beschwörende Stimmen dringen durch das Schlüsselloch: nur einen einzigen kurzen Blick auf den Marktplatz zu werfen. Offene Jagdwagen mit Paßpferden klappern über das Kopfsteinpflaster, Briefe werden unter der Tür durchgeschoben.
    Langsam wird es Nacht. Der Trubel läßt nach. Er sitzt immer noch bei seiner Rechnerei, er zieht die Schlußsumme: siehe da, Herr Schöning hat recht gehabt, man kann nie zuviel Geld haben. Mit zwanzigtausend Mark ist gar nichts zu machen. Jetzt sind es schon zweiunddreißig. Und vieles wird er noch vergessen haben, auch das Haus ist noch ganz leer. Darin steht immer noch nur ein

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