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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Wartezimmer, das gar nicht wie ein Wartezimmer aussah, sondern ein so schöner, heller Raum war mit schönen Blumen und heiteren Bildern und vertrauenerweckenden Büchern, wie er ihn bisher in seinem ganzen Leben nur auf Schloß Fidde gesehen hatte. Nein, auch dort nicht. Denn dort war alles viel düsterer.
    Die Wartezeit wurde ihm nicht lang. Da stand er und sah die Bilder an. Und nun kam eine große Frau mit weißem Haar zu ihm herein und gab ihm die Hand und sagte: So, das ist also der Herr Gäntschow.
    Und sie sah ihn an.
    Ja, vielleicht mochte sie wirklich an die Siebzig sein, wie Christiane ihm gesagt hatte. Aber davon war nichts zu sehen. Das Alter hatte die hohe Gestalt noch nicht beugen können und die festen, breiten Schultern noch nicht krumm ziehen. Es war ein Gesicht mit wenigen klaren, deutlichen Linien, wie aus einem alten Holzschnitt, das ihn anschaute. Es waren große blaue Augen, genau wie die seinen, die ihn ansahen. Es war ein altes Bauerngesicht, das da vor ihm war – und ob es vertrauenerweckend war! Und ob Christiane recht hatte!
    Nur eben, daß diese Augen einen Glanz von Güte und menschlichem Interesse hatten, den seine nie gehabt hatten, und davon kamen wohl ihre Gewalt und ihr Zauber.
    Nein, sagte die Ärztin, keine Spur von Eiweiß, alles in bester Ordnung. Eine fabelhafte Frau. Und welcher Mut, welche Natürlichkeit.
    Sie sah Gäntschow fast lächelnd an. Und in dem seltsamen Zustand, in dem er diese Tage war, begriff er natürlich, daß sie ihn sofort durchschaut hatte und wußte, daß ihm dieser Mut noch nicht so sehr aufgefallen war.
    |574| Sie sollte sich nicht zu viel Sorgen machen, die kleine Frau, sagte die Ärztin nachdenklich. Nun, das steht wohl nicht in ihrer Macht. Und das war nun wieder so gesagt, daß Gäntschow nicht wußte, stand es nicht in seiner Macht, oder stand es nicht in Christianes Macht? Aber er bezog es auf sich und nahm es wieder als den Vorwurf, den ihm jetzt alle machten.
    Ja, und nun schreiben Sie sich noch die drei Telefonnummern auf. Die junge Frau hat sie zwar schon, und das Telefonfräulein in Ihrer Pension hat sie auch schon. Aber wenn es soweit ist, verlieren manchmal auch die Frauen den Kopf. Und es kann ja dann selbst einmal geschehen, daß ein Mann ihn oben behält. Sie lächelte wieder rasch. Und nun mußte er sich die Nummern von der Ärztin und von der Hebamme und von der Privatklinik notieren, und dann durfte er gehen.
    Er hatte aber nicht die geringste Lust, jetzt in seine Pension zu gehen und dort zu frühstücken, und Christiane würde er doch nicht vor Mittag zu sehen bekommen. So setzte er sich in ein morgendlich unaufgeräumtes kaltes Café und ließ sich dort ein Frühstück geben.
    Gedankenvoll rührte er in seiner Tasse Kaffee herum und grübelte über den seltsamen Zustand von Verzauberung nach, in den er seit einer Woche geraten war. Es schien sein Schicksal, daß ihn die Frauen immer wieder aus der Bahn rissen. Wenn er an seinen Hof dachte, an den er jetzt schon über eine ganze Woche kaum gedacht, so spürte er etwas wie einen Schmerz in sich, auch wie eine Unruhe, auch wie ein Schuldgefühl.
    Aber der Hof verschwand rasch, wie er gekommen war, doch das Schuldgefühl blieb, und es verstärkte sich noch, wenn er an Christiane dachte. Ging er logisch vor und dachte über den Fall gründlich nach, so hatte er sich nicht das geringste vorzuwerfen. Er hatte Christiane nie wie etwa Elise angeschnauzt, er hatte seine Stimmung im Zaum gehalten, er hatte über ein halbes Jahr fast ausschließlich für sie gelebt, so daß er dadurch sogar in große wirtschaftliche Bedrängnis geraten war.
    |575| Sie hatte ihn dann selbst nach Warder geschickt, und kein Mensch konnte ihm einen Vorwurf daraus machen, daß er dort erst einmal aufgeräumt und Ordnung gemacht hatte. Er hatte völlig richtig gehandelt. Das Seltsame war nun nur, daß trotz allen logischen Denkens und trotz allen Richtig-Handelns das Schuldgefühl nicht etwa schwächer wurde, nein, sich verstärkte.
    Es war wirklich eine verzauberte Welt, in die er ahnungslos am zwanzigsten Dezember hineingefahren war, und der Zauber hatte ihn sofort ergriffen, als er das helle gelbe Fensterquadrat des verschneiten Haaseschen Häuschens gesehen hatte. Es war ein großmächtiger Zauber, und er war ihm auch prompt verfallen, nur, er durchschaute ihn.
    Es war ja so, daß die Frauen, die sonst nicht viel zu sagen hatten, sich diese eine Welt zurechtgemacht hatten, bewußt und unbewußt hielten sie die

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