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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ohne allzuviel Sorgen leben. Hast du übrigens Stupps gesehen?
    Nein, sagt Gäntschow.
    Es entsteht eine kleine Pause.
    Du wirst es mir also später erzählen, mein Freund. Lügen kannst du immer noch nicht richtig. – Ihr Mann kommt übrigens am Vierundzwanzigsten mittags, Frau Haase, und bleibt über die Feiertage. Gäntschow konnte ihn noch nicht eher entbehren. Er ist so tüchtig.
    Die kleine Lampe brennt gelblich unter ihrer weißen Kuppel. Der Ofen summt und seufzt etwas. Gäntschow meint, die große Stille, die draußen niedergeht, fast körperlich zu spüren.
    |569| Jetzt wird es für uns beide Zeit, sagt Christiane dann. Und das »uns beide« ist so gesagt, daß Johannes auf der Stelle begreift, er ist nicht als der zweite gemeint.
    Du gehst vielleicht noch ein bißchen in den Wald und holst dir Appetit fürs Abendessen. Wir schlafen dann schon. Und morgen vormittag wanderst du vielleicht einmal nach Tütz hinüber und besuchst Herrn Bieratz. Er ist doch schwer gekränkt, daß du ihm das Geld ohne ein Wort zurückgeschickt hast. Wir sehen uns dann morgen mittag wieder.
    Sie gibt ihm die Hand. Einen Augenblick ist er in Versuchung, sie zu küssen. Da begegnet er dem Blick ihrer Augen. Und diese Augen sind mit einem kleinen, schelmischen Leuchten auf ihn gerichtet, mit einer letzten Spur von gutmütigem Spott, als sei er völlig durchschaut …
    Gute Nacht, mein Freund.
    Und so bleibt es nun. Er muß in diesen Tagen mehr spazierengehen, als ihm lieb ist. Und plötzlich empfindet er Alleinsein als eine Last. Sie mißt die Stunden, die er bei ihr sein darf, sehr knapp zu – und das schlimmste ist, er fühlt genau, daß das nicht etwa eine Strafe ist, eine kleinliche Rache. Sondern sie braucht ihn einfach nicht, sie will ihn nicht haben, sie hat ein Bündnis mit dem Werdenden abgeschlossen, mit dem ist sie gerne zusammen, und er bleibt ausgeschlossen von dem Bund. Es kommt so weit, daß er sie fragt: Geht es dir heute gut?
    Siehe da, er denkt an so etwas, und sie antwortet: O ja, schon, und lächelt dabei.
    Und er sieht doch, daß sie Schmerzen hat, aber sie lügt nicht, es geht ihr eben doch gut. Sie liebt auch ihre Schmerzen.
    Er hat es noch nie der Mühe wert gehalten, andere Menschen viel zu beobachten, ihre Stimmungen und Gefühle waren ihm gleichgültig, sie mußten sich nach seinen Stimmungen und Gefühlen richten. Nun geht er umher und sieht sie an und lauscht auf die leiseste Schwingung in ihren Worten. Er findet in einer Zeitschrift ein Bild, ein Bild zu Weihnachten. Es ist die Reproduktion eines Gemäldes von einem Mann |570| namens Fra Angelico. Nie hätte er früher solch ein Bild angesehen. Plötzlich versteht er etwas von der ehrfurchtsvoll grüßenden Gebärde des Engels und dem Abstand zwischen ihm und der leise lächelnden Mutter. Plötzlich versteht er, daß manche Frauen noch einmal wieder diesen himmlischen Glanz auf die Erde zurückholen, das ferne selige Lächeln und den Strahlenkranz.
    Er geht umher und steht lange an einem Fleck im Walde im Schnee, und er weiß, daß nun alles anders werden wird, daß er jetzt erst begriffen hat, was Menschen sind, und er sehnt den Tag der Entbindung herbei. Und wenn das Kind erst da sein wird, werden sie über alles sprechen und alles richtig einrichten. Was für ein Narr er gewesen ist, an eine Seemannsheirat zu denken, mit seltenem Landbesuch, er hat sich des Besten im Leben berauben wollen!
    Wenn aber Gäntschow nun gemeint hatte, in Berlin werde alles ganz anders werden, und er werde dort gewissermaßen die Frau Haase als Gesellschafterin ersetzen – ein etwas kleiner Ehrgeiz für einen so großen Mann –, so irrte er sich auch darin ganz gewaltig. Ach, es stellte sich von der ersten Stunde an heraus, daß Christiane alles bis aufs kleinste vorbedacht und vorbereitet hatte, und in der vornehmen Fremdenpension im Berliner Westen, wo sie nun Quartier nahmen, war Christiane von früher, von ihrem Papa her, noch so gut bekannt und befreundet, daß die neue Wirtin sie wie eine Tochter begrüßte. Und kein Mensch kam auf die Idee, sie trotz der Anwesenheit von 1 Meter 87 Zentimeter Gäntschow Frau Gäntschow zu nennen, sondern sie wurde hier »unsere junge Baronesse« genannt oder auch einfach von der Tochter des Hauses Christiane und von einem ältlichen Dienstmädchen, dem Herr Gäntschow übrigens gar nicht zu gefallen schien, sogar Frau Wendland.
    Ja, wenn nun auch ihre Zimmer nebeneinander lagen und Christiane nicht einmal den Versuch machte, die

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