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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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den Wald für sich gehen. Hier liegt etwas Schnee. Er geht langsam. Ab und zu bleibt er stehen und sieht sich etwas an: ein verlassenes Hafenlager oder einen eingeschneiten Tannenbaum. Er hat keine Eile. Er könnte sogar noch einmal nach Tütz zurückgehen und den Bieratz fragen, ob er das Geld auch richtig bekommen hat.
    Aber wie langsam er auch geht, schließlich lichtet sich der Wald. Und da liegt das kleine einsame Haus am Seerande. Hinter einem Fenster brennt Licht. Es leuchtet gelblich warm zu ihm hinüber – plötzlich faßt ihn der Gedanke an, daß sie all diese Wochen und Monate, in denen er so tätig war, hinter diesem Fenster gesessen und nur auf ihn gewartet hat. Er fühlt die einsame, beschränkte Stille unter dem demütigen Dach. Sie war doch einmal eine strahlende Frau in einem Schloß – da steht er und sieht auf das helle Fenster. Dann geht er langsam auf das Haus zu, in das Haus hinein. Da sitzt sie neben Frau Haase, in dem kleinen, banalen Wohnzimmer, sie hat irgend etwas aus weicher Wolle gehäkelt, das sie nun in den Schoß sinken läßt.
    Da bist du ja, sagt sie einfach und sieht zu ihm auf. Sie bleibt sitzen. Sie reicht ihm ihre Hand, die sich so warm und lebendig um die seine schließt. Guten Abend, Hannes, sagt sie und sieht ihn an.
    |567| O Tia, Tia, sagt er erschüttert und beugt sich über ihre Hand. Er hat eben ihr Gesicht gesehen – ach, er hat nichts begriffen. Er hat all die Monate und Jahre nichts begriffen, er hat vielleicht sein ganzes Leben nichts begriffen und alles falsch gemacht … Aber nun kommt die Woge. Sie hebt ihn, sie strudelt dahin über sein ganzes Leben, er wird mitgerissen, er atmet eine andere Luft … Tia, sagt er ergriffen, Tia …
    Ja, Hannes, sagt sie und nickt, nun ist es bald soweit.
    Sie lächelt dabei. Was ist das? Eine Frau, ein Wesen mit langem Haar, mit einer überentwickelten Brust, einem schweren Bauch, der auf den gespreizten Oberschenkeln zu ruhen scheint. In dem Gesicht sind alle Linien verändert und scheinen weicher geworden, es ist breiter … Der Mund ist halb geöffnet, als fiele ihr das Atmen schwer, sie lächelt von ferne her – und alles ist anders geworden, alles ist sinnlos geworden.
    Hier ist Wärme und Nähe. Hier ist der geheimste und letzte Sinn alles Daseins enthüllt. Nein, er denkt nicht an sein Kind. Es ist ja nicht sein Kind, es ist ihr Kind, noch allein ihr Kind.
    Aber es ist Christiane, es ist Tia, es ist seine Jugendgespielin, nach der er sich ewige Jahre gesehnt, die er dann bekommen, und die er dann wieder verlassen hat. Er weiß wahrhaftig nicht warum.
    Setz dich ein bißchen an den Ofen, du bist kalt. Frau Haase macht gleich Kaffee. Geht alles gut auf dem Hof?
    Sie tut, als merke sie nichts von seiner Erregung. Sie streicht einmal schnell über sein Haar. Nein, nun mußt du dich erst einmal aufwärmen. Jetzt haben nicht du noch ich das Regiment, sondern es.
    Sie lächelt wieder einen Augenblick. Und nie noch hat er wie in diesem Augenblick ihre Einfachheit, ihre natürliche Schlichtheit, all ihre Herzensgüte begriffen.
    Du hast Haase nicht mitgebracht? Er kann wohl schlecht abkommen auf dem Hof? Nun, du mußt sehen, daß es sich vielleicht doch für zwei, drei Weihnachtstage machen läßt. Die Frau grämt sich ja sonst zu Tode.
    |568| Tia, sagt er, ich bin ein Narr gewesen, ich verstehe wahrhaftig nicht, warum ich dich nicht längst geholt habe …
    Nein, nein, mein Freund, sagt sie und sieht ihn kopfschüttelnd an. Ich hab es dir ja geschrieben: nachher! Nachher!
    Sie sieht vor sich hin, in irgendeine Ferne.
    Jetzt mußt du deine stürmische Ungeduld schon ein wenig bezwingen …
    Sie sieht ihn an, und ihr Blick nimmt den Worten jede Bitterkeit.
    Erzähle mir ein bißchen von Fiddichow. Bist du einmal auf dem Bullenberge gewesen? Hast du den alten Marder besucht? Wer verwaltet jetzt die Superintendantur?
    Nein, er ist nicht da gewesen. Er weiß eigentlich nichts. Aber dann kommt er doch ins Erzählen. Er erzählt von seinem Hof, von seiner Arbeit. Er gerät in Eifer. Alles, was er in tausend Einzelarbeiten durch Wochen und Monate aufgebaut hat, bekommt einen großen Zusammenhang.
    Sie hört zu, und sie fragt dazwischen. Manchmal lacht sie auch. Manchmal sagt sie etwas.
    Nein, sagt sie, findest du es so schlimm und verächtlich, wenn die Menschen gerne Geld verdienen? Daß sie dir jetzt nachlaufen, ist doch kein Wunder. Hunger tut allen weh. Und wie wir sterben werden, wissen wir alle nicht. Und wir möchten doch alle

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