Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
mußte, ob das Kalb angebunden werden sollte oder ob es der Fleischer bekam. Alwert wurde weiß vor Angst. Aber er verbarg das und wurde dafür belohnt: das Kalb sollte hierbleiben. Die Mutter schalt natürlich darüber, über das viele, unnütze Jungvieh, diese Fresser. Aber der Vater nickte Alwert zu. Nun wurde er glühend rot, er verkroch sich mit dem Kopf unter den Tisch: hatte der Vater etwas von seinen Besuchen im Kuhstall bemerkt? Aber er beruhigte sich wieder. Der Vater sprach davon, daß dies Kalb in der Neujahrsnacht geboren sei, und daß er es deshalb behalten wollte. Nichts wußten Eltern noch Geschwister von seinen heimlichen Besuchen, er konnte sich weiter in den Stall schleichen, zur stillen Stunde, und mit ihm sprechen und bei ihm träumen und mit ihm spielen. Ganz ruhig konnte er den Vater fragen, wie denn dies Kalb heißen sollte, und der Vater war einverstanden, daß es einen Namen bekam, da es doch nun unter den Nachwuchs des Stalles aufgenommen war. Und als Alwert den Namen Blanka vorschlug, war er auch damit einverstanden. Es war ein sehr vornehmer Name für ein Dreimonatskalb, nun mußte es sich zeigen, ob es dieses Namens auch wert sei.
    Jetzt vergingen zwei glückliche Jahre für Alwert und Blanka. Alwert wurde vierzehn Jahre alt und konfirmiert, aber das war gar nichts, wenn man bedachte, wie Blanka wuchs und gedieh. Sie wurde eine starke und schöne Färse, eine wahre Pracht. Den ganzen Sommer, so lange sie auf der Weide getüdert wurde, lag er bei ihr mit seinen Büchern, und sie lernten alles sozusagen gemeinsam. Nun höre einmal zu, Blanka, was das nun wieder ist, konnte Alwert sagen, und dann kam ein schrecklicher Name aus dem vaterländischen Geschichtsbuch. Blanka hörte zu. Sie hob den Kopf hoch und sah ihn an. Sie stieß den warmen Laut aus, den sie nur für ihn hatte, sie hörte das Wort an, und auch ihr schien es |90| ganz ungeheuer, was sich diese Menschen da wieder ausgedacht hatten. Dann senkte sie den Kopf und fraß weiter. Blanka mußte alles hören, über den Dreißigjährigen Krieg und Friedrich den Großen, sie erfuhr, was der Kleine und der Große Katechismus war, sie ertrug auch eine Rechnung mit Zinsen. Und das Schönste war, daß dies beider Geheimnis blieb. Kein Mensch ahnte, daß Blanka und Alwert überhaupt etwas miteinander zu tun hatten. Wer weiß, wie der Junge es fertigbrachte, wieviel hundert Lügen er ersann, um sein ewiges Fortsein, sein Niezeithaben zu erklären. Er brachte es fertig, und es sollte sich ja dann zeigen, daß er später noch viel Schwereres für Blanka fertigbrachte. Aber dies waren doch die glücklichsten Jahre.
    Für Bauer Gäntschow waren sie nicht so glücklich. Er hatte zuviel getrunken, zuviel Geld ausgegeben und die Wirtschaft verlottern lassen. Er hatte auch Pech auf den Feldern gehabt, einen zu trockenen Sommer. Dazu war ein Pferd gefallen, das Geld war alle. Eines Tages hieß es beim Mittagessen, daß es nun nichts mehr helfe, morgen käme der Händler, alles Jungvieh, das bloß fresse, solle verkauft werden. Der Junge neigte die Stirn, er verbarg sein Gesicht im Schatten. Blanka fort! Blanka verkauft! Es war unmöglich. Er fühlte, wie stark sein Herz pochte, und auch dieses Pochen sagte ihm, daß es unmöglich sei. Blanka war nicht zu verkaufen. Den ganzen Nachmittag lag er bei ihr und weinte. Da gehst du, Blanka, schluchzte er, und frißt. Du weißt nichts von dieser Welt, dein Herz sehnt sich erst, wenn wir getrennt sind.
    Er zerbrach sich den Kopf, hundert Pläne waren da, aber keiner ausführbar. Wie, wenn man zum Vater ginge und alles gestände … daß er Blanka liebte? Aber der Vater würde ihn nur auslachen. Aber selbst wenn er ihn verstehen würde, da war die Geldnot. Sie war ja nur eine Fresserin, die nichts brachte. Blanka! Blanka! schluchzte er und legte die Arme um ihren Hals.
    Und da wußte er es, plötzlich wußte er es. Nun hatte er immer diese Bücher gelesen, den Robinson, den Karl May, |91| den Lederstrumpf. Große Abenteuer geschahen, und er hatte gemeint, daß sie draußen seien, auf den unendlichen Meeren, an fremden Küsten, unter wilden Völkern.
    Aber nein, das Abenteuer war hier wie dort. Es war auf jedem Hof und in jedem Wald, am Grugenteich war es und in Vaters Kuhstall. War nicht Abenteuer genug, was ihm schon geschehen? Er liebte eine verzauberte Prinzessin aus fernen Landen, er allein wußte um sie, und sie stand als Kalbe in seines Vaters Stall! Welchem andern Jungen geschah dies? Und darauf kam es

Weitere Kostenlose Bücher