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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nun eben an, sich dieses Abenteuer nicht fortnehmen zu lassen, nicht zu werden wie die andern. Alle Abenteuer kommen zu uns. Robinson hätte auch zu Haus bleiben und Kaufmann werden können. Nichts zwang den Arzt Gulliver, sich immer von neuem einzuschiffen: sie wollten das Abenteuer! Auch er wollte es! Seine Blanka, seine … auch er wollte es!
    Am nächsten Morgen war der Kuhstall erbrochen und Blanka gestohlen. Es war eine Sache, von der die Halbinsel Fiddichow noch nach Monaten redete. Der dicke Landgendarm war nun jeden Tag auf dem Hof und sprach mit dem Vater. Dann betrachteten sie das Vorhängeschloß, das so seltsam zerschlagen war, so unsinnig zerwütet mit einer Axt, und kamen wieder zu dem Schluß: ein Neuling hatte das getan. Aber diese Kalbe war ja nicht zu verkennen. Sie mußte wieder auftauchen; hatte Alwert den Vater nicht daran erinnert, daß sie eine Krone auf der Stirn trug, eine weiße, etwas verwischt gezeichnete Krone? Nun, an dieser Krone würde man sie wiedererkennen. Und in der Folge machte der Vater manche lange Reise über das Land, wenn ihn das Gerücht von dem Auftauchen seiner Blanka irgendwohin rief.
    Unterdes lag der Knabe im Wald, und seine Blanka graste bei ihm. Der Wald war verwachsen und dicht. Hier fand sie keiner. Nur der Großvater hatte gewußt, daß sich durch dieses Tannendickicht ein Wildwechsel schlängelte, der zum Grugenloch führte. Das war ein Teich, ein kleiner Teich, mitten in den Tannen. Hierher war Alwert mit dem Großvater |92| gekommen, und die beiden hatten sich auf den Grugenstuhl gesetzt, eine abgehauene Tanne. Und der Großvater, dieser seltsame Mann mit dem langen, weißen Bart, der nie Hosen trug, sondern die Enden seines unmäßig langen Leibrocks in die Schäfte der Stiefel steckte, der Großvater hatte ihm von den Grugen und Quaken erzählt, kleinen Geistern, die an diesem Teich ihr Wesen trieben.
    Nun waren die andern Wunder gekommen. Der Großvater war gestorben und mit ihm waren die ein wenig künstlichen Wunder der Quaken und Grugen vergangen. Nun hatte sich Alwert seine echten Wunder selbst geholt. Da graste Blanka, schon hatte sie sich an das härtere, spärlichere Waldgras gewöhnt. Sie sah prall und voll aus, ihr ging nichts ab, das sah man. Und neben ihr liegend, in der Sonne, unter dem leisen Rauschen der Tannenzweige, durch die raschelnd die Vögel schlüpften, träumte Alwert davon, wie er jahraus, jahrein zu seiner Blanka kommen würde, zu diesem schwarzweißen Geheimnis, an dem niemand teilhatte. Er begriff nicht, daß man anderes lieben könnte als dieses Tier. Das war das Wunder. Menschen lieben? Menschen sind der Alltag, sie sagen etwas, sie tun etwas, und man konnte sie erraten, man konnte hinter sie kommen, und plötzlich schien die Sonne klar durch sie hindurch. Menschen sind nichts.
    Wer aber kam hinter Blanka? Da lag sie und käute wieder, aber das war nur ihr Vorwand, den man nicht beachten durfte. Wenn man in ihre Augen sah, begriff man, daß sie dies alles, Bäume, Sonne, Gras, Wasser und Alwert dazu nur obenauf sah. Was aber sah sie tiefer drin, was sah sie wirklich? Nicht daß alles leicht war. Gewiß, dort war Blanka und hier im Bett lag Alwert. Aber diese Blanka war so unvernünftig, da lag sie nun in der dunklen Nacht allein im Walde, konnte nicht die Sehnsucht sie nach den andern, nach Alwert überkommen? Konnte sie sich nicht losreißen und auf den Hof laufen? Das war es, daß man ihr nicht erzählen konnte, sie würde verkauft. Sie war eben eine Prinzessin, sie begriff nichts von diesem Leben, alles mußte man für sie tun. Und indes der Regen |93| gegen die Fensterscheiben spritzte, sagte er immer wieder zu sich: da liegt sie draußen, die Blanka, und ich hier.
    Auch das war ein Rätsel, daß man eines liebte, an es dachte und getrennt war von ihm. Es war so eine dicke, greifbare Sache, die die andern sich ausgedacht hatten. Gewiß, nach den Augen, mit dem Verstande war es so, daß sie dort war und er hier. Aber war es nicht vielleicht doch unwahr? Lag er nicht etwa auch neben ihr in der Mulde, die er für sie gegraben, unter dem Tannendach, das er für sie geflochten? Er war hier und er war dort. Das war die eigentliche Wahrheit. Ebenso wie Blanka hier und in einer andern Welt war. So ging das zu.
    Es war ein glücklicher Sommer! Es war ein seliger Sommer. Endlose Träumereien des Knaben auf dem Grugenstuhl, indes oben langsam Wolken dahingingen, sich ballten, zergingen. Dann schien die Sonne. Sie waren wunderbar diese

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