Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Wolken, aber sein größeres Wunder hatte er sich aus seines Vaters Kuhstall geholt. Er hatte es gezwungen, wahr zu sein, und gegen sie alle hatte er es behauptet. Die kleinen Grashalme um ihn, die Tannenzweige über ihm, das Wasser vor ihm, der Himmel oben, sie bestätigten es. Da graste sie, sie war schwarzweiß, in einer Neujahrsnacht war sie geboren, sie trug eine Krone auf ihrer Stirn. Sie hätte eine Kalbe wie alle Kalben werden können. Er hatte sie vereinzelt. Er hatte ein Schicksal geschaffen, abseits von allen andern.
    Da saß er auf seinem Grugenstuhl, mit seinem langen braunen Jungengesicht voller Sommersprossen, ein Bauernjunge wie alle andern, der in die Dorfschule ging und alltags barfuß lief: ein Junge wie keiner. Solch endloser Sommer! Die kleinen Fliegen schwirrten, und die kleinen Mücken sangen: Ji-Ji, und die Zeit rauschte ganz fern. Oh, meine Blanka!
    Dann kam der Herbst mit seinen langen, sonnigen Tagen, und das Futter wurde knapp. Er hatte daran gedacht, für den Winter Heu zusammenzutragen, aber das wenige, was er gesammelt hatte, war im Umsehen zu Ende. Was Blanka auch |94| fraß! Und es war natürlich ausgeschlossen, daß man ihr etwas abgehen ließ. Nun mußte man eben jede Nacht mit einer Traglast Heu zu ihr. Dann war er den ganzen Tag müde, er wurde blaß, er wurde mager, er schlief ewig, wenn er zu Haus war.
    Und sie paßten so auf nun! Eines Nachts war der Vater im Zimmer der großen Kinder gewesen und hatte sein Bett leer gefunden. Da mußte er nun endlose Lügengeschichten erfinden, um sie und sich zu retten. Nun blieb nichts, als ein paar Nächte zu Haus zu bleiben, aber dann das Muhen, mit dem ihn Blanka empfing! Er zitterte, er kroch zu ihr, er sprach sanft zu ihr. Es quälte ihn namenlos, daß sie leiden mußte um seinetwillen. Wo waren die sorgenlosen Sommertage hin? Und dies war erst der Herbst!
    Aber noch gab er den Kampf nicht auf. Noch gab er sich nicht zu, daß er sich zuviel vorgenommen hatte. Dies war zu sehr Teil seines Lebens, als daß er es hätte aufgeben können. Er mußte sich eben wach halten, bis der Vater nachgesehen hatte, und dann gehen. Aber das hieß, die ganze Nacht wachen, überhaupt nicht schlafen. Und doch führte er es durch. Er gewöhnte sich auch daran, er stahl sich aus dem Tag ein paar Schlafstunden, er wurde ein Nachttier. Und alles war belohnt, und alles war gut, wenn er bei Blanka war. Blanka war nicht mehr Blanka, Blanka war der Weg, aber Blanka war auch das Ziel. Blanka war seine Stellung zu den Menschen. Gab er Blanka auf, gab er sich auf.
    Dann fiel der erste Schnee. An ihn hatte er nicht gedacht. Nun waren Spuren da. Jeder konnte ihm nachgehen, jeder konnte Blanka finden. Er wurde eiskalt, als er dies dachte. Nun ist das Ende da, sagte er, aber er glaubte es noch nicht. Ich werde etwas finden, beharrte er. Ich werde auch diesmal etwas finden. Auch diesmal wird es mir glücken.
    Der einzige Ausweg, auf den er geriet, war der, Blanka vorläufig im hintersten Keller des Hauses zu verstecken. Dorthin kam so leicht niemand. Es war ein schlechter Ausweg, das wußte er, ein besserer würde ihm später einfallen.
    |95| In der Nacht nahm er Blanka am Strick, er führte sie auf den Hof, er führte sie die Treppe hinauf ins Haus, die Treppe hinab in den Keller. Auf dieser Treppe glitt Blanka aus und fiel. Es gab einen ungeheuren Lärm. Mit der Lampe stand der Vater da und fragte: Was in aller Welt machst du hier mit der Kuh? Der Junge starrte ihn totenbleich an. Der Schein der Lampe fiel auf Blankas Stirn. Aber das ist ja Blanka! Das ist ja Blanka! rief der Vater.
    Es war eine Katastrophe. Es war ein maßloser Skandal. Niemand glaubte dem Jungen, daß er das Tier »nur so« geliebt hatte. Zuerst begriff er nicht, was sie meinten, was sie alle meinten, von der Mutter bis zum Kantor. Aber sie sorgten schon dafür, daß er begriff. Blanka, seine Blanka und er!
    Von da an war ihm alles gleich. Er wurde von der Schule gejagt, am liebsten hätte man die Konfirmation rückgängig gemacht. Und dann war natürlich kein Gedanke daran, daß er je den Hof bekam. Ein Mensch, der sich in so jungen Jahren schon so schwer verging! Man gab ihn auf ein Schiff und schickte ihn auf fremde Meere, daß die Schande nur aus den Augen kam.
    Oh, meine Blanka!
    In den zwei oder drei Wochen, die Alwert nach der Aufdeckung seines Verbrechens noch auf dem Hof war, schlichen natürlich auch seine Geschwister wortlos um ihn herum, als sei er nicht da. Schande bedeutet stets ein von

Weitere Kostenlose Bücher