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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ist. Nun aber hatte dieser Bengel vor ihm gestanden, ach ja, der Vater hatte ganz gut kapiert, daß es nicht Gehässigkeit und Streitsucht gewesen waren, die dem Sohn die Zunge geführt hatten, sondern heiliger Zorn, Sorge, Erbitterung. Siehe, es kam doch auf ihn an, ein kleines Geschöpf, siebzig Pfund Fleisch und Knochen, nicht der Rede wert Hirn, zürnte mit ihm. Nichts zu erben?
    Dir wollen wir’s zeigen! Saufen, verludern – was verstehst denn du? Erben, nichts zu erben, jawohl, einen ganzen Bauernhof, hundertachtzig Morgen, alles weizenfähiger Boden, vier Pferde, acht Kühe, Jungvieh, Schweine, voller Beschlag, jawohl, erben! Aber nicht du, du Naseweis! Du sollst sehen! Ein Schreibknecht sollst du werden, ein Federfuchser, wie dein Onkel Gäntschow, dein Vatersbruder, in der steinernen Stadt Berlin, zwischen Mauern und auf einem Büro. Geh du nur zum alten Superintendenten Marder, büffele, lerne, Bücher, Tinte, Staub.
    Und Johannes Gäntschow ging zum Superintendenten, jeden Werktag, fünf Jahre lang, fünf Stunden jeden Werktag lang. Es wäre die unerträglichste Geschichte von der Welt für einen an viel Luft, weite Äcker und rauschende See gewöhnten Bauernjungen gewesen, wenn er nicht einen Leidensgefährten gehabt hätte, eine Leidensgefährtin heißt das: die Christiane Freiin von Fidde.
    Die Grafen von Fidde saßen ja nun mindestens ebenso lange wie die Gäntschows auf der Halbinsel Fiddichow. Sie leiteten |101| ihren Ursprung von jenem Herzog Wisso her, der in grauen Zeiten einen Heidenmann, Gunnar, am Kehlteich hatte hinrichten lassen, weil ihm sein Lieblingsschimmel geschlachtet worden war. Es wäre übertrieben, wollte man behaupten, die Feindschaft zwischen den Gäntschows und den Grafen Fidde datiere von jenem sagenhaften Doppelopfer her. So weit braucht man nicht zu suchen. Ein Bauer kann nie und niemals Freund eines Grafen über Tausende von Morgen Land sein. Wer selbst hinter seinem Pflug geht, sorgsam Furche um Furche umlegt, muß den verachten, der durch seinen Inspektor zwanzig Pferde- und Ochsengespanne zum Pflügen schickt. Jedenfalls, hätte Bauer Gäntschow gewußt, daß in Superintendent Marders verräuchertem Amtszimmer sein Sohn der Freiin Fidde gegenübersitzen würde, er hätte sich den Fall mit der höheren Bildung noch einmal überlegt. So aber sagte Marder nur hastig: Das ist also der Johannes Gäntschow, Christiane, zeig ihm mal die erste Seite von deiner Syntax. Er weiß noch rein gar nichts. Ich muß mal rasch …
    Und damit fuhr er aus der Stube. Superintendent Marder fuhr immer hastig durch die Weltgeschichte, außer seinen Schülern, einer großen Pfarrei, hatte er auch noch einen Bauernhof zu besorgen, immer war er überall und nirgend.
    Der Junge stand unter der Tür und sah nach dem Mädchen auf dem Sofa mit zusammengezogener Stirn hin. Er hatte keine Ahnung, wer sie war. Vielleicht hatte er sie einmal im Kutschwagen vorüberfahren sehen, aber daran dachte er nicht mehr. Das aber sah er jedenfalls, daß sie in ihrem glatten, dunkelblauen Kleid mit dem schweren, dunklen Scheitel und den Schnecken über den Ohren keine Bauerntochter war. Außerdem schien sie ihm, trotzdem sie gleichaltrig mit ihm war, viel älter als er. Und daß sie ihn nun gewissermaßen unterrichten sollte, und daß er rein gar nichts wußte, kränkte ihn sehr.
    Du brauchst mir nichts zu zeigen, sagte er brummig von der Tür her. Ich will doch nichts lernen. Ich werde doch Bauer. Und wenn ich nicht Bauer werde, werde ich Schmied.
    |102| Christiane hatte zwar keine Mutter, dafür aber einen ältlichen, kränklichen, oft mißgelaunten Vater. Darum war sie der Lage gewachsen und sagte ernsthaft: Ein Schmied ist aber immer schmutzig.
    Johannes Gäntschow bedachte es und sagte: Aber er versteht viel von Pferden. Er kann ein Pferd für immer lahm machen, wenn er das Beschlagen nicht ordentlich versteht.
    Sie antwortete: Ein Trainer versteht aber noch viel mehr von Pferden, ich würde Trainer werden. Dann brauchst du dich auch nicht schmutzig zu machen.
    Was ist ein Trainer? fragte er.
    Ach, sagte sie, er sagt, wie die Pferde gefüttert werden sollen, und schimpft immer die Stallburschen, daß sie nicht ordentlich putzen, und er erzählt den Leuten, wie sie reiten müssen. Und reitet immer am schönsten.
    Reiten? fragte er. Reitpferde sind Quatsch. Ich brauch ordentliche Arbeitspferde, die was ziehen können, nicht solche verhungerten Engländer.
    Sie sah ihn nachdenklich mit einer kleinen, senkrechten

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