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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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der Mehrheit gefälltes Urteil, und Kinder gehen eigentlich immer mit der Mehrheit. Auch Johannes Gäntschow machte da keine Ausnahme, auch er sprach nie wieder mit dem Bruder. Manchmal, wenn er nach der Schule pfeifend in die Dachstube kam und sah den Bruder still und bewegungslos am Fenster sitzen, mit dem blassen, langen Gesicht, und den Blick ohne Zwinkern auf der grauen Bretterwand der Feldscheune, die, kaum acht Meter entfernt, jede Aussicht versperrte, – manchmal also, wenn er den Bruder so starr sitzen sah, überkam ihn zwar nicht Mitleid, aber etwas wie ein Gefühl von Verbundenheit. Johannes, der kein Träumer war wie sein Bruder, |96| wußte ganz genau, daß die Großen unrecht hatten, von Alwert zu glauben, was sie glaubten. Dafür kannte er den hochmütigen Einzelgänger viel zu gut. Nein, Johannes hatte sich längst aus seinem praktischen Verstand heraus eine sehr andere Theorie über die beiseite gebrachte Blanka gemacht, und für Schande war da kein Raum.
    Wenn er darum aber doch nicht mit Alwert sprach, den Boykott mitmachte, so war es einmal deswegen, weil die Kronprinzen immer von ihren Geschwistern gehaßt werden, dann aber, weil er schon damals alle Verwandtschaft, vom Vater abgesehen, nicht ausstehen konnte. Da saßen sie in diesem viel zu vollen Haus, sie überfüllten es mit ihrem Lärm, ihrem Gezänk, sie fuhrwerkten immer in den Sachen und im Leben der andern herum, sie beschwatzten alles, kommandierten, verhöhnten, neckten bis aufs Blut – Verwandtschaft war Vormundschaft, Fessel, Feindschaft.
    Nun hatte wohl gerade Alwert all dies nicht besonders deutlich mitgemacht, und ein einsames Tannengeflecht am Grugenteich mit dem Grugenstuhl (Johannes hatte sich das alles angesehen, wie sich die halbe Insel den Schandplatz ansah) –, für all das konnte niemand mehr Verständnis haben als Johannes. Aber kann man denn verzeihen, wenn man, selber voll Haß gegen die andern, vom Bruder in diesen gleichen Haß einbezogen wird? Nein, nein, der hatte immer spöttisch die Augen eingekniffen, wenn Johannes mal den Versuch gemacht hatte, ihm etwas zu erzählen, er hatte eine so infame Manier gehabt zuzuhören und dabei in seine Bücher zu schielen, »Richtig« zu sagen und überhaupt nicht hingehört zu haben, nein – auch Johannes sprach kein Wort mit Alwert, gab ihm auch bei der Abfahrt nicht die Hand. Wie das keiner tat.
    Als Alwert aber erst weg war und es sich so machte mit dem Alten, beim Strohhäckseln auf der Tenne, da sagte der elfjährige Hannes dem Vater sehr genau, daß es alles Schiet sei mit Alwert und seiner Blanka, daß sich der Vater mal wieder habe anmeiern lassen, von der lieben Verwandtschaft |97| und der Mutter … Alwert, der sich dreimal am Tage die Hände wäscht! Was du nur denkst, Vater!!!
    Und Hannes grinste verächtlich mit all seinen Sommersprossen, spuckte verächtlich einen Strohhalm aus.
    Der Vater ließ das Schwungrad von der Häckselmaschine los, sah seinen Sohn prüfend an und fragte: Und was denkst denn du?
    Hat sich ’ne Kuh retten wollen, weil der Hof sein Erbteil ist, sagte Hannes bedeutungsvoll und kniff, ohne es zu wissen, die Augen genau so ein wie sein Bruder.
    Retten wollen? fragte der Vater.
    Hannes spürte den nahenden Sturm, aber er sagte doch: Es bleibt ja doch nichts, Vater. Es verkommt ja doch alles. Und darum hat er die Blanka beiseite gebracht? Daß wenigstens was bleibt?
    Ja, Vater.
    Nein, der Junge hatte keine Angst. Da stand er mit seinem schmalen, verfrorenen Gesicht und den etwas abstehenden, feuerroten Ohren, ein zehnmal geflickter, zusammengestoppelter Anzug, lange, schwarze, rauhwollige Strümpfe, Holzpantoffeln, elf Jahre – aber Angst hatte er nicht.
    Der Vater besann sich auch. Dösbartel, sagte er nur, spuckte aus und griff wieder nach dem Schwungrad. Er drehte es gewaltig. Der Junge hatte zu tun, daß er genug Langstroh ranschaffte. Das Häcksel mußte er auch wegkehren. Eine lange Weile war man stille. Nur die Häcksellade machte unermüdlich und scharf: Ssssiete-Ssssiete. Immer der scharfe Schnitt.
    Dann mußte der Bauer Atem holen. Er stand da, aber Hannes hatte noch mehr auf dem Herzen. Und was soll denn das, Vater, daß du die Blanka dem Fleischer Frehle für sechzig Mark verkauft hast? Sie ist mindestens das Vierfache wert.
    Der Vater sagte ernsthaft: Weil sie keiner haben wollte. Frehle mußte sie extra nach Berlin schicken, da weiß keiner was von ihr.
    |98| Und warum haben wir sie nicht behalten? Im Frühjahr hätte sie zum

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