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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sich.
    Mittlerweile stellte sich der Schimmel so um, daß er sich hinlegte und krepierte. Aber nicht an Futtermangel, beileibe nicht. Sicher hatten die früheren Knechte ihm aus Rache was eingegeben. Aber schließlich wurde es doch klar, daß auch |122| die andern Pferde zum mindesten »krank« waren, das war nun schlimm. Zum Tierarzt bis nach Sagard zu schicken, war viel zu teuer, außerdem fürchtete der Superintendent vielleicht im geheimen für seine Futtertheorie. Dann gab es noch den Schäfer Hundertmark. Aber ein Schäfer war gar nichts, unwissenschaftlich, bloßer Aberglaube.
    In dieser Not fielen dem Geistlichen nun die preußischen Kavalleriepferdeställe ein, in deren jedem traditionsgemäß ein Ziegenbock gehalten wird, der, wie jedermann weiß, keine Krankheit im Stall aufkommen läßt, sondern alles auf sich zieht. Man könnte nun freilich sagen, daß ein Ziegenbock auch Aberglaube ist, aber erstens ist ein Bock in Pferdeställen eine offizielle militärische Einrichtung, zweitens hängt es irgendwie ganz wissenschaftlich mit dem starken Geruch, den Böcke absondern, zusammen, und drittens konnte der Ziegenbock die Ziegen der kleinen Leute in Kirchdorf decken, sparte ihnen den weiten Weg bis Riek, und der Superintendent strich noch Deckgelder ein.
    Ein Ziegenbock wurde gekauft. Ein wahrer Patriarch an Körper und Ehrwürdigkeit, mit langem, zottigem Haar, einem herrlichen, weißen Spitzbart, den schamlosesten, frechsten und neugierigsten Augen von der Welt und breiten, weitausladenden, geschwungenen Hörnern.
    Alles ging verquer! Dieser Ziegenbock war der Vater der Neugierde, ein Großvater der Frechheit und ein wahrer Satan der bösen Streiche. Im Stall war er ein Fehlschlag, vielleicht war er zu spät gekommen, jedenfalls fiel noch ein Pferd, und der Superintendent kehrte schweigend und grimmig zum Hafer zurück. Aber dieser Bock, von den Pasewalker Offizieren auf den schönen Namen Phryne getauft, verliebte sich in den Geistlichen und folgte ihm auf Schritt und Tritt. Keine Kette half, keine noch so kunstvolle Fesselung, kein Lattenverschlag, plötzlich rannte er laut meckernd im Triumph über den Hof, stieß die Tür zur Superintendantur auf, erkletterte, tripp, trapp, die Treppe, war im Studierzimmer, suchte das Dorf ab und ruhte nicht eher, bis er seinen breitschultrigen |123| Marder gefunden und ihm, zufrieden meckernd, ein paar sanfte, aufmunternde Stöße ins Gesäß versetzt hatte.
    Der arme Superintendent. Diese Wochen waren schwere Wochen für ihn! Der Bock war kein billiger Bock gewesen. Bis zur Deckzeit im Frühjahr, da er ein bißchen Geld einbrachte, sollte er mindestens durchgehalten werden. Der Geistliche, schon immer hastig, bekam jetzt etwas Flüchtiges, Scheues, einen beklagenswert angstvollen Blick über die Schulter. Immer floh er vor Phryne, versteckte sich vor ihm, schloß Türen ab, fragte mitten im Gespräch: Hören Sie nichts? Wie?!
    Und diese ollen Heimtücker von halben Heiden, diese rechten Insulaner, begriffen so rasch die Lage ihres Seelsorgers, es hatte sich herumgesprochen – Da meckert doch was, Herr Superdent? fragten sie.
    Weg war er. Weg von Vermahnungen, Tröstungen, Geschäften!
    Aber die Ereignisse dann am sechsten Februar, dem fünften Sonntag nach Epiphanias, gaben dem Bock und seinem Herrn doch den Rest. Herr Superintendent Marder war in der Kirche, und seine Gemeinde, seine Schäflein, mit ihm. Die Gemeinde sang das Lied vor der Predigt. Sechs Strophen. Und der Superintendent ging frierend und wartend in der eiskalten Sakristei auf und ab. Die Hände hatte er ganz in die Ärmel seines Talars gesteckt. Nun waren sie bei der dritten Strophe. Nun fingen sie die vierte an …
    Der Kantor Bockmann hätte bei solcher Kälte das Zwischenspiel auch gern etwas kürzer machen können! Was aber der eigentliche Kirchendiener war, so hieß er Wollenzien, Gabriel Wollenzien. Ein Kirchendiener muß ein geschickter, rascher Mann sein. Gabriel Wollenzien aber war man tüterig. Das war dem Superintendenten lange klar. Doch das Kirchendieneramt (für fünf Zentner Roggen jährlich und zwei Dutzend Eier zu Ostern) war erblich in der Familie Wollenzien. Nein, sie kamen mit der vierten Strophe nicht klar. Was sie nur hatten? Gottlob hielt die Orgel sie bei der Stange, |124| aber nun tat plötzlich auch die Orgel einen ganz unziemlichen Hüpfer – und stürzte sich wie schuldbewußt in um so lautere Akkorde. Alle Register, alle Register.
    Der Superintendent machte die

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