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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Hause, schickte er sofort zum Viehhändler Frehle nach Dreege und ließ ihn kommen. Sonst schloß er nie ein Handelsgeschäft am Sonntag ab. Nein, auch dies wurde kein Handel: er verschenkte den kostbaren Bock, unter der Bedingung, daß ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen dürfte und daß er gleich am nächsten Tage von der Insel verschwinden müßte. Phryne protestierte aus seiner Räucherkammer gegen diese Abmachungen mit kläglichem Gemecker.
    Am nächsten Tag, am Montagmorgen, stand der Superintendent Marder halb versteckt hinter dem Ladeschuppen auf dem Dreeger Kai, sah den Blücher ablegen und ächzend, krächzend, Dampf abblasend, pfeifend die Höhe des Dreeger Boddens gewinnen. Auf dem Verdeck war lange ein weißer Fleck zu erblicken, der entschwindende Phryne. Dann verschwamm der weiße Fleck mit dem Schiff, der Dampfer tutete noch einmal und drehte sich um den Finkenhaken.
    Erleichtert aufseufzend, machte sich Herr Marder auf den Rückweg. Das Kapitel Phryne war abgeschlossen, und er würde den Leuten schon die Mäuler stopfen. Und während er die Dreeger Chaussee langsam fürbaß mit seinen breiten Schultern entlang schaukelte, wurde er wieder beinahe ganz |127| fröhlich beim Anblick der mit Wintersaat bestellten Äcker. Trotzdem im Januar eine Reihe von Tagen schweren Kahlfrost gebracht hatten, waren Roggen wie Weizen gut durchgekommen. Schön smaragdgrün lagen die Flächen in der klaren Wintersonne unter dem schon nicht mehr ganz blassen Blauhimmel. Um die Zweige der Kirschbäume an der Chaussee lag schon etwas wie eine Vorahnung des Frühlings. Die Spatzen stritten sich vergnügt und eifrig tschilpend um einen Pferdeapfel. Der Geistliche überlegte, wie er am nächsten Sonntag Septuagesimä diese Vorfrühlingsahnung in seinen Predigttext einflechten könnte.
    Dann aber, an diesem selben Montagabend, tat er noch etwas Heroisches: er trotzte allem Gerede der Leute und ging in den »Schwedischen Hof«, der der Superintendantur gerade gegenüber auf der andern Seite des Marktplatzes lag. Da waren heute am Montag drei Skattische in Gang, ein Bauern-, ein Kaufleute- und ein Gutsbesitzerskattisch. Da würden sie heute beisammensitzen, die ihn durchhecheln wollten, und gerade darum ging er hin.
    Heroisch an diesem Gang war aber, daß Superintendent Marder, der sonst nie in Gasthäuser ging und sonst nie Alkohol trank, fest entschlossen war, an diesem Abend bis zum letzten Mann sitzen zu bleiben und so viel Alkohol zu trinken, wie zu diesem langen Sitzen gehörte. Alkohol haßte er, Alkohol machte ihm angst, vor Alkohol schüttelte er sich – aber das war heute alles gleich.
    Da ging er, ein kleiner, rötlicher Kerl, mit lächerlich breitem Rücken, aber zum Trommeln gab er sich nicht her, Kalbfell wurde er nicht. Er würde trinken und nicht betrunken werden.
    Mit dem Trinken aber war es bei ihm so bestellt, daß sein Großvater schon gerne getrunken hatte und sein Vater sehr gerne. Er war die nächste Generation, er hatte statt einer Neigung eine Abneigung, aber sein strahlender, junger Bruder, fast gleichaltrig, hatte wieder zu gerne getrunken. Und Marder hatte an diesem Bruder, den er so herzlich wie nie einen |128| andern Menschen wieder geliebt hatte, langsam, langsam allen Verfall durch den Trunk erlebt: den Schmutz, das Verkommen, die Verlogenheit, die Gier. Allmählich hatte der Feind – und was war das für ein schrecklicher, erbarmungsloser Feind – die Strahlenzüge des Bruders gestohlen, aufgeschwemmt und verschwommen war alles in diesem Gesicht untergegangen, was auf eine herrliche Zukunft hingedeutet hatte. Dann war der Zusammenbruch gekommen, die Anstalt, das krampfhafte, irre, schreckliche Flehen und Beschwören um einen einzigen Schnaps. Es war gekommen das Geheiltwerden, das Wieder-in-Freiheit-Leben des Bruders, die heimliche Angst um ihn und die schreckliche Gewißheit, daß er von neuem trank.
    Es waren schreckliche Auseinandersetzungen gekommen, Schwüre, die in der Stunde schon, da sie gegeben waren, gebrochen wurden, die von vornherein nicht gehalten werden sollten. Und schließlich jene schreckliche Nacht, da die beiden Studenten auf ihrer Bude in Kampf gerieten, da die Seele des andern schon auf der Flucht, schon von ätzendem Alkohol ganz aufgelöst gewesen war. Wie in dem zerrütteten Trinkergehirn Visionen von Verfolgern, huschenden Tieren auftauchten, wie er zu schreien anfing, zu schreien wie selber ein Tier … Nein …
    Bis er ein paar Tage danach auslöschte und

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