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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zusammengefallen auf dem Totenbett lag als ein stiller, ernster Bruder jenes einst so herzlich Geliebten.
    Ja, wie Superintendent Marder jetzt durch den Pfarrgarten und über den Marktplatz geht, denkt er natürlich an all diese Dinge nicht. Sie sind so lange her, sind wie versunken in ihm, unter der stets neuen Ernte stets neuer Erlebnisse. Aber die Angst sitzt in ihm …
    Natürlich, er könnte Himbeerwasser trinken oder einen Tee und noch einen, aber er weiß doch, wie seine Insulaner sind: wer nicht plattdeutsch spricht und nicht mittrinkt, gehört nicht zu ihnen. Und heute muß er zu ihnen gehören.
    Im Flur trifft er gottlob die Wirtin, Frau Reese, und er benutzt |129| die Gelegenheit, ihr möglichst laut und sonor ein paar Worte zu sagen, und sie begrüßt ja auch recht lebhaft den ungewohnten Gast. Richtig, in der Gaststube links wird es plötzlich still. Ganz auffallend still. Und so platzt er wenigstens nicht unangenehm in ein Gespräch über sich hinein, als er eintritt und seinen guten Abend sagt.
    Sie sind alle schön vorbereitet, und er muß viele Hände drücken und viele Fragen stellen und beantworten, ehe er sich an einen Tisch beim Ofen setzen kann, auf den Tisch klopfen und rufen darf: Herr Reese, einen Grog!
    Es geht wie eine Welle verblüfften Schweigens durch den Raum. Aber das ist nur ein Augenblick, und dann haben sie alle, alle kapiert und reden doppelt laut: Kiekeda, der Herr Superintendent will sich wohl anbiedern. Er denkt, er hat es nötig – und laut reden sie von allen, allen andern Dingen.
    Stark oder schwach? fragt der Wirt.
    Stark, sagt der Superintendent und langt sich eine Zeitung.
    Der Grog riecht gemein nach Fusel. Mit Widerstreben nur tut der Geistliche in den übelriechenden Trank den schönen, klaren, weißen Zucker. Er rührt gedankenvoll, lange, er sieht dabei gedankenvoll durch den Raum. Er sitzt schön in der Mitte. Sie können es weder rechts noch links wagen, über ihn zu sprechen. Natürlich denken die, er wird bald wieder abrücken. Aber da sollen sie sich geirrt haben!
    Er nimmt den ersten Schluck. Ein schlimmes Getränk, viel schlimmer noch, als er gedacht. Er schüttelt sich, aber er trinkt mutig einen großen Schluck von dem Gebräu. Dann liest er weiter in der Zeitung.
    Bis halb elf geht alles glatt. Bis halb elf kann er sich mit Zeitungen helfen. Er hat bis dahin drei Gläser Grog getrunken, und der Trank widersteht ihm nicht mehr so. Es wärmt schön, solches Gebräu. Übrigens hat es auch eine schöne, bernsteinhafte Farbe. Und das Gehirn wird langsam groß und weich. Als der Superintendent die letzte Zeitung aus der Hand legt und sich im Gastzimmer umsieht, ist er ganz andrer |130| Stimmung. Da sitzen sie, jetzt reden sie nur noch, wenn ein Spiel fertig ist, und dann sprechen sie nur von den Fehlern, die die andern gemacht haben – an ihn denken sie gar nicht mehr. Aber er möchte jetzt, daß sie an ihn denken, eine Anspielung machen. Sein ursprünglicher Plan, ihnen nur das Reden unmöglich zu machen, ist ganz vergessen. Jetzt möchte er ihnen Bescheid sagen, diesen selbstherrlichen Bauern, diesen Sittenrichtern im Glashaus. Da sitzt Bauer Behn mit dem noch immer schwarzen, krausen Haar, siebenundfünfzig ist er, und in den letzten zehn Jahren haben drei Mägde in seinem Haus ein Kind bekommen: Vater unbekannt. Aber Marder kann mit dem Finger auf den Vater zeigen, wenn er mag. Er sieht ihn ja an!
    Reese, noch einen Grog und stärker.
    Der da so laut krakehlt, ist der Kaufmann Stavenhagen, was schreit der? Weiß der Superintendent etwa nicht, daß der fette, rosige Mann einen heimlichen Schnapsausschank hinter seinem Laden hat? Doch, das weiß er, und er weiß noch mehr. Er weiß, daß jetzt zur Stunde vielleicht die Frau dort mit irgendwelchen Bürschlein Liköre trinkt. Er braucht nicht durch die Fenster zu sehen, er kann durch die Wände schauen! Zuhälter der eigenen Frau, wahrhaftig, aber ihm einen Bock vorwerfen, einen lächerlichen Zufall, seinen Ruf zerreden, zerwalken, daß er schließlich mit dem Konsistorium Schwierigkeiten hat, das können die.
    Nicht ein Wort von euch –!
    Kein schlechter Trank, nein, gewiß nicht, dies tut gut, es stärkt noch die Stärke, es macht angriffslustig. Der betrübt Aussehende da, der Lange, Bleiche, mit der weißen, höckrigen Schnüffelnase, das ist Finnig aus Fabiansruh, Pensionär nennt er sich – oh, du trauriger Wucherer, du. Umherschnüffeln tust du mit deiner Höckernase, im Winter ausschnüffeln, wo kein

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