Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
etwas zu sehen. In weißer, eintöniger Fläche lag das Eis, nur hier und da von einem schmalen Riß durchzogen.
    Komm, Christiane, sagte er eilig und zog sie auf das Eis.
    Aber, sagte sie.
    Hast du Angst? Man kann noch glatt rüberlaufen. Sieh nur, in zehn Minuten sind wir am Fidder Strand.
    Schön, sagte sie und betrat mit ihm das Eis.
    In der Nähe des Strandes war es höckrig und bucklig, beim Einfrieren des Boddens hatten sich kleine Schollen auf die großen geschoben. Sie mußten über Eishügel klettern. Manchmal rutschten sie und fielen hin. Dann lachten sie. Aber je weiter sie hinauskamen, um so ebener wurden die Flächen. Sie waren nicht etwa glatt, das Eis lag schon lange, drei Wochen oder vier, Schnee war daraufgefallen und festgefroren. Es ging sich gut.
    Dann kam die erste Spalte. Sie war nicht breit, kaum einen halben Meter, mit einem Schritt war man hinüber. Aber unwillkürlich faßten sie sich an der Hand, standen einen Augenblick still und sahen in das graue, trübe Wasser, das bewegungslos zwischen dem Eis lag.
    Sieh, wie dick das Eis ist, und unter dem Wasser ist es noch viel dicker. Sicher über einen Meter. Da können wir laufen und laufen. Wir sind nur wie Mücken.
    Komm, sagte sie, und sie traten über das Wasser.
    Dann gingen sie eilend weiter. Die Risse kamen häufiger, sie waren enger und breiter, manchmal mußten sie springen, es war herrlich. Der Fabiansruher Strand lag schon weit hinten, und auch dem Fidder Strand waren sie noch kein bißchen näher gekommen.
    Wir müssen mehr links gehen, mahnte Christiane.
    Ach, sagte er, du kommst doch immer noch zeitig. Laß uns noch ein Stückchen gradeaus gehen. Sieh doch –!
    Sie standen vor einer breiteren Spalte und sahen auf die Eiskante drüben, und während sie hinsahen, verschob sich die Kante, hob sich ein wenig und senkte sich dann wieder. |155| Es war, als rührte sich der Boden unter ihren Füßen, als bewegte sich die alte Mutter Erde wie im Schlaf, man konnte schwindlig werden dabei.
    Es sind die Wellen, erklärte er. Sie drücken von draußen in die Bucht. Über Nacht schlagen sie das ganze Eis kurz und klein, und dann fängt es an zu treiben, und morgen früh ist vielleicht nicht mehr ein Fitzelchen Eis auf dem ganzen Bodden. Hier, wo wir stehen, dieses tiefe Wasser …
    Komm, sagte sie.
    Sie faßten sich wieder an, ihre Augen leuchteten. Sie sprangen. Sie hielten immer weiter gradeaus. Die Spalten wurden häufiger, schon konnte man den Umfang der einzelnen Schollen übersehen. Aber sie achteten nicht darauf, oder wenn sie darauf achteten, war es grade schön.
    Nun tanzten die Schollen schon richtig auf dem Wasser. Sie hoben und senkten sich auf den Wellenrücken, über die breitesten Spalten, über die Risse von anderthalb, von zwei Metern konnten sie springen. Sie warteten einfach den Augenblick ab, wo die Scholle von der einströmenden Welle näher geschoben wurde, näher –
    Jetzt! rief Johannes, und dann sprangen sie.
    Jetzt! und wieder ein Sprung.
    Und schon war die Scholle, auf der sie eben noch gestanden, weit, weit fort, scheinbar unerreichbar durch einen breiten Streifen Wassers getrennt, das jetzt auch nicht mehr grau war, sondern grünlich, von einem hellen, schneidendkalten Grün. Und wenn es manchmal schien, als könnten sie eine Scholle gar nicht erreichen, so machten sie Umwege nach rechts und nach links, sprangen ganz aus der Richtung und schlugen schließlich wieder den alten Weg zur offenen See ein.
    Sie waren unendlich glücklich. Ein Rausch von Springen, Bewegung, Tanz hatte sie erfaßt, der freie, reine Atem der See hauchte sie an. Das geheimnisvolle Wasser gluckste leise und schäumte und glitt dahin unter ihren Füßen. Die Küsten mit ihren Dünenstreifen, ihren dunkelernsten Fichtenkronen weiteten sich. Der nie betretene Schnee funkelte |156| weiß und bläulich. Der böse Nachmittag war vergessen, das Haus dahinten weggeweht, Menschen sind nichts. Aber hier, sieh, wie wir über diese Spalte springen, über das Meer, in dem tief, tief die Fische wohnen und über uns die Möwen. Jagen, streifen, segeln, mit schrillem Gekreisch!
    Hand in Hand auf das Meer hinaus, in das Leben hinaus, weg von den Häusern, die zu starr in der Erde sitzen mit ihren Fundamenten, deren Dächer fest wie angeklebte Hüte auf ihnen hocken …
    Da! sagte er strahlend.
    Sie sind draußen. Drei, vier ewig unerreichbare Schollen ab, rollt die See mit hohen, geheimnisvoll grünen Wogen heran, hebt die Scholle, auf der sie stehen, wie

Weitere Kostenlose Bücher