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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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denen die Kleider hingen.
    Na, wie gefällt dir das? fragte er herausfordernd, wagte aber nicht, sie anzusehen, sondern ging zum Fenster, an dessen Verschluß er herumzudrehen anfing.
    Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie dachte flüchtig an ihren raschen, beschwingten Weg durch den Schnee hierher – und seitdem die Hunde sie in den Scheunenwinkel getrieben hatten, schien alles trübe, grau, von einem unwirklichen Dunst verschwommener gemacht. Ich möchte dann jetzt gehen, sagte sie mühsam und kämpfte mit ihren Tränen.
    Er tat so, als merkte er nichts, oder er merkte auch wirklich nichts. Du hast ja auch alles gesehen, nicht wahr? sagte er immer noch in dem bösen Ton, als wollte er sie gleich schlagen. Er ließ den Fenstergriff nicht los, er sah starr hinaus, als sähe er etwas, das ihn interessierte. Komm hierher, sagte er plötzlich laut. Meine schöne Aussicht mußt du wenigstens sehen.
    Sie erschrak vor diesem Ton, aber unwillkürlich gehorchte sie und trat ans Fenster. Sie blickte hinaus und sah in wenigen Metern Abstand nichts wie den grauen Brettergiebel der Scheune. Ihre Tränen versiegten, sie sah ihn an. Er betrachtete sie ernst und aufmerksam.
    |150| Ihre Empörung wuchs. Sehr hübsch, sagte sie. Sind es Kiefernbretter?
    Wie?! schrie er fast.
    Ja, sagte sie erstaunt, es sieht wie Strandholz aus.
    Und mit diesen Worten, die den Erbauer der Scheune beschuldigten, gestohlenes Strandholz für die Scheune verwendet zu haben, zog sie mit einem Ruck ihre Handschuhe an, betrachtete ihn noch einmal mit funkelnden Augen und ging wortlos aus der Stube.
    Als sie möglichst eilig und leise die Treppe hinunterging, überkam sie eine neue Angst: Frau Gäntschow könnte auftauchen, sie an den Kaffeetisch schleppen und sie weiter »Gnädige Gräfin« nennen.
    Aber aus der dampfenden Küche drang nur der Lärm von Töpfegeklapper, brutzelndem Fett und dem Geblök eines Kindes. Sie ging eilig über den Flur, die Tür zu des Bauern Zimmer war noch immer offen, Stühle standen auf einem Tisch, die Scheuereimer waren noch da, die Wasserlachen, auch die offenen Fenster – aber keine Mädchen. Sicher waren sie alle fortgerufen.
    Sie ging eilig weiter auf die Hofstatt, nun waren nur noch die Hunde zu bestehen. Auf dem Hof stand ein großer, etwas schmaler Mann mit einem ernsten, grüblerischen Gesicht, die Hände fest in den Taschen der Joppe. Sie mußte dicht an ihm vorbeigehen. Sie tat es und sagte leise: Guten Tag. Der Mann antwortete nicht, sah sie aber unverwandt und aufmerksam an. Keine drei Schritt weiter hörte sie den ersten Hund anschlagen, sechs, acht stimmten ein. Sie hörte den Hatzlaut schon näher, als ein gewaltiger Pfiff ertönte und eine Löwenstimme brüllte: Pux, Sussi! Schweinehunde, wollt ihr! Kusch der Hund!
    Sie drehte sich um und sah den großen Mann an, der, wie es ihr vorkam, ihr traurig nachsah. Sie sagte: Danke schön. Aber wieder antwortete er nicht. Vielleicht lohnte es ihm gar nicht mehr zu sprechen. In solchem Haus!
    Irgendeinen Gedanken der Art hatte sie, als sie auf die |151| Chaussee zuging, und eine unendliche Traurigkeit erfüllte ihr Herz. Sie hätte immerzu weinen können, aber das wollte sie nicht. Nein, sie konnte es auch nicht, es war nur ein Brennen in den Augen und ein Druck im Kopf. Sie wollte sehr rasch zu ihrem Papa, sie dachte flüchtig an das große Ölbild der Mama in der Bibliothek, an ihr Zimmer, in Weiß und Bleu … Und dann dachte sie an den Jungen, den sie da am Fenster stehengelassen hatte. Ja, wahrhaftig, Strandholz! – Aber sie konnte es nicht einmal bereuen. Sie sah wieder die Bretterwand, das unaussprechlich ärmliche Zimmer, den Jungen am Fenster – man mußte dort so sein. Nein, es war nicht einmal so die Ärmlichkeit, es war das Verludertsein, die Hoffnungslosigkeit. In diesem Hause kam es auf nichts an. Sie fühlte es eher, als daß sie es wußte und verstand, sie war nicht einmal böse auf Johannes – aber wieso hatte er lachen können, ganz harmlos lachen, in mancher Stunde beim alten Marder –? Ihr schien es, als könnte man so überhaupt nicht leben, als müßte man dort immer trauriger und böser werden – nein, jetzt wollte sie nach Haus, in ihr Heim, in ihr Zimmer, und nichts mehr denken.
    Sie ging immer schneller. Als sie ein Klappern auf der Straße hinter sich hörte, verlangsamte sie ihren Schritt kein bißchen, eher beschleunigte sie ihn noch, trotzdem sie genau wußte, was das war.
    Da tauchte er schon neben ihr auf,

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