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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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trabend in seinen Holzpantinen, das Gesicht rot vom Lauf, in blauer Jacke, ohne Mütze, wie sie ihn eben gesehen hatte. Nur die blaue Schürze fehlte. Na? sagte er atemlos und ging neben ihr.
    Sie antwortete nicht, sah auch nicht nach seiner Seite.
    Hast du Vater gesehen? fragte er ganz harmlos, als sei alles längst ausgestanden und vergessen, hat er mit dir geredet?
    Sie sagte wieder nichts. Sie konnte einfach nicht sprechen. Auch er sagte nichts mehr. Er ging eilig neben ihr her. Sie fühlte es wie ein Ding, das man beinahe greifen kann, daß sich seine Stimmung von neuem veränderte. Sie hätte ihm so gerne etwas sagen mögen, etwas Harmloses. Aber sie konnte |152| es nicht. Sie mußte plötzlich wieder an die dampfende Küche denken und an den prüfenden Blick, den er von ihr zu seiner Mutter gesandt hatte.
    Ich kann ganz gut alleine gehen, sagte sie plötzlich, die Sekunde vorher hatte sie noch nicht gewußt, daß sie das sagen würde.
    Er schwieg eine lange Weile. Die Straße trat hier dicht an die See. Man konnte sie aber nicht sehen, denn ein Streifen Tannen versperrte den Blick, doch man konnte sie hören, sonst, heute nicht. Jetzt lag sie schon seit Wochen bis weit draußen in Eis.
    Ich begleite dich, sagte er plötzlich, ich muß doch nun auch einmal dein Zimmer sehen.
    Es lag etwas so hämisch Verbissenes in seinem Ton, daß sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Aber sie bezwang sich.
    Ich kann gut alleine gehen, sagte sie noch einmal.
    Natürlich, höhnte er, wir können jeder für sich ganz gut nebeneinander alleine gehen.
    Sie blieb stehen. Eine hilflose Wut war in ihr, sie stampfte mit dem Fuß auf. Geh weg! Geh weg! Ich kann dich nicht mehr sehen!
    Die Erinnerung an diesen ganzen Nachmittag, durch den sie alles hatte gutmachen wollen und durch den alles schlecht geworden war, überkam sie mit solcher Gewalt, daß sie ihm ins Gesicht rief: Oh, du bist schlecht! Du bist so schlecht!
    Er sah sie mit weißem Gesicht aus nächster Nähe an. Plötzlich veränderte sich dies Gesicht. Horch, sagte er feierlich, hob den Finger, und von einer plötzlichen Erregung übermannt, faßte er sie fest am Arm. Horch, rief er noch einmal. Ein feines, immer stärker anschwellendes Singen erklang. Es stieg und stieg – plötzlich schien es von allen Seiten zu kommen – und war ebenso rasch so leise, daß man nicht mehr wußte, hörte man es noch oder summte es nur in den Ohren nach.
    Ich, fing sie an und wollte sich von seinem Arm losmachen.
    Still, hör doch! rief er ungeduldig und deutete nach der |153| See hin. Das Singen war stärker geworden, es wurde ganz schrill. Plötzlich riß es ohrenbetäubend, als würden tausend Seidentücher auf einmal zerrissen. Dann erklang ein dumpfer Donner, ein erst ferner und dann unaufhörlich sich nähernder Donner, der immer stärker anschwoll.
    Das Eis! schrie Johannes. Das Eis geht los!
    Und Christiane mit sich reißend, stürmte er in die Tannenschonung. Sicher hatte er alles andere vergessen.
    Von der letzten Dünenkuppe aus sahen sie das Meer vor sich, unter sich. Die ganze Bucht des Boddens war davon erfüllt und weit noch hinaus, weit hinaus noch über das Kap Sagitta lag der blendend weiß beschneite Eisgürtel, den jetzt schon hundert schwarze Risse zerteilten. Das Donnern hielt an, der weiche Wind faßte die beiden Kinder halb von hinten und ließ Christianes Rock hochwehen.
    Die beiden standen Hand in Hand, die Augen glänzend von dem nie gesehenen Schauspiel. Ferne hinter Fabiansruh sahen sie viele schwarze Gestalten sich eilig am Strande bewegen. Das Eis drückt in die Bucht, sagte Johannes. Die ziehen ihre Kähne höher. Sieh doch.
    Er deutete auf die offene See hinaus, die dunkelblau mit weißen Schaumkämmen gegen ihre Eisfessel anstürmte. Man meinte zu sehen, wie sie die Schollen da draußen zerschlug, wie der Gürtel schmäler wurde, lockerer.
    Und die Möwen, sagte Christiane.
    Der Aufruhr der See hatte auch die Vögel ergriffen. Jagend und unaufhörlich kreischend flogen sie über den Bodden hin, waren eben noch so nahe, daß man sie zu greifen meinte, schrien schrill. Und schon waren sie so weit weg, daß sie weiß mit dem weißen Eis verschwammen. Das Donnern hatte aufgehört. Statt dessen erklang ein ohrenbetäubendes Reiben und Knirschen.
    Jetzt bricht es in Schollen, rief Johannes. Komm, Christiane, wir wollen rauf.
    Und Hand in Hand liefen sie die Düne hinunter. Alles, alles hatten sie beide vergessen.
    |154| Unten am Strand war noch kaum

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