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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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spazieren. Ich glaube, wir haben Trift gerade auf Finnland zu. Ich wäre immer schon gerne mal nach Finnland gekommen. Gibt es da nicht schon Eskimos? Oder was weißt du davon?
    Ich auch nichts, sagt sie.
    Warum wolltest du eigentlich ins Wasser springen? fragt er. Weil du dich nicht schlagen läßt?
    Weil ich Angst hatte, du würdest mich zum Springen zwingen, sagt sie. Vor dem Springen hatte ich schreckliche Angst. Und jetzt hast du keine Angst mehr?
    Ich denke an Papa, sagt sie, ich bin doch noch nie von ihm fort gewesen, ohne daß er es wußte.
    Bei mir werden die sich nicht sehr den Kopf zerbrechen, die denken bloß, Unkraut vergeht nicht.
    Dein Vater auch?
    Bei Vater kann man es nie wissen. Bei Vater hat man nie eine Ahnung, was er denkt und tun wird.
    |162| Genau wie bei dir.
    Aber … er ist grenzenlos überrascht.
    Ich dachte wirklich, du würdest mir ins Gesicht schlagen, und ich müßte ins Wasser springen.
    Laß man, ich wäre schon hinterher gehopst und hätte dich wieder rausgeholt. Aber nein, überlegt er, ich glaube nicht, daß man wieder rauskommt. Das Wasser ist viel zu kalt. Man kann gar keine Schwimmbewegungen machen. Man wird gleich weg sein.
    Wie es wohl ist, fragt sie nachdenklich, man soll doch sein ganzes Leben beim Ertrinken sehen.
    Ach, Schiet, sagt er, was an meinem Leben schon zu sehen ist! Wenn man wenigstens sähe, was man geworden wäre. Ich möchte schrecklich viel werden.
    Was denn?
    Ach, eigentlich alles, was man werden kann.
    Du, fragt sie, wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?
    Warte mal, sagt er nachdenklich und ernst. Erst einmal, daß ich etwas ganz Großes werde, daß ich mich um niemanden zu kümmern brauche, und dann Geld, so viel. Und dann, daß unser Hof der allerbeste von Pommern wird, und dann, daß ich …
    Halt, drei Wünsche sind schon alle!
    Dann würde ich eben einfach als Drittes wünschen, daß ich immer wieder drei Wünsche frei habe. Und immer so fort.
    Das gilt nicht, erklärt sie. Deine drei sind weg.
    Auch egal, sagt er. Und was sind deine drei?
    Meine drei sage ich nicht, antwortet Christiane.
    Aber warum denn nicht?
    Nein, die sage ich nicht. Wünsche, die man sagt, gehen nicht in Erfüllung.
    Und mich hast du meine sagen lassen?!
    Sie ist betroffen. Ich habe gar nicht daran gedacht, Hannes, sei nicht bös. Du kannst dir ja jetzt gleich in der Stille drei andere Sachen wünschen.
    |163| Andere brauche ich nicht. Und es ist auch nicht schlimm, wenn sie nicht in Erfüllung gehen. Ich werde es schon so schaffen.
    Geschwätz, kindisches Geschwätz auf einer Eisscholle, die immer weiter auf die See hinaustreibt.
    Daß man auch nicht einen Dampfer sieht, murmelt er, sonst sieht man immerzu welche.
    Nicht bei Eisgang, sagt sie. Frierst du auch so?
    Ja, schon.
    Manchmal wird mir ganz schlecht.
    Mir auch. Daß wir auch gar nichts haben, worauf wir uns setzen können. Ich fühle meine Beine schon gar nicht mehr.
    Ich auch nicht. Aber ich werde so müde.
    Nein, ich nicht. Ich überlege immer, was wir noch tun könnten.
    Aber wir können nichts mehr tun, gar nichts!
    Das weiß ich nicht. Vielleicht fällt mir doch noch etwas ein.
    Er läuft wieder hin und her. Nach einer Weile sieht er, daß sie sich doch hingesetzt hat, in dem Röckchen auf das blanke Eis, er will etwas sagen. Aber dann besinnt er sich: so merkt sie wenigstens nicht, daß von ihrer Scholle ein großes Stück abgebrochen ist.
    Wieder nach einer Zeit setzt er sich stillschweigend neben sie und lehnt seine Schulter an ihre. Sie haben sich so gesetzt, daß der nun schon sehr ferne Leuchtturm ihnen nicht ins Gesicht scheint, dieses ewige Aufblitzen und die dann fast schmerzende Schwärze der Nacht waren unerträglich. So sehen sie in das Dunkel. Manchmal schimmert nah vor ihnen eine Schaumkrone, das Meer scheint ihnen plötzlich leiser, er will ihr etwas sagen, als er merkt, daß sie am ganzen Leibe zittert, mit den Zähnen klappert und immerzu Ogottogott sagt.
    Aber ehe er sich entschließen kann, ist sie wieder still geworden. Und so bleibt auch er still. Während er so sitzt, denkt er sich etwas aus: man müßte im Garten am Haus aus |164| der Mittelrabatte die Rosen nehmen und einen Tunnel halb schräg in die Erde bauen, und wenn man tief genug ist, müßte man eine Art Höhle daranbauen, einen eirunden Sack, mit Heu etwa gepolstert, im Dunkeln der Erde. Da müßte man sitzen, den Rücken in die Höhlung des Beutels geschmiegt, und man wäre warm und geborgen und brauchte

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