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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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eine Feder, und die Woge rollt weiter, in die Bucht hinein, in das enge Getriebe und Geschiebe. Wie gebannt starren sie auf die See. Das ist eine andere See als die milde Sommersee, die zu Baden und Übermut einladet, diese hier, duftlos und ohne Geruch, macht stumm.
    Beide Kinder haben, wie sie so vor ihr stehen, ein etwas starres Lächeln um die Lippen, von dem sie gar nichts wissen. Sie sind beide sehr ernst und sehr glücklich. Nicht mehr faßt eines des andern Hand, sondern ein Gefühl, das in beiden Körpern ist, hat aus zwei Händen eine gemacht.
    Plötzlich scheint es ihnen, als würde die Welt unendlich rasch, in einem Wimperzug, grau und kalt. Das Meer lärmt lauter, die Möwen kreischen schriller. Sie sehen sich um und merken, daß die Sonne im Wasser versunken ist. Grau liegt die ferne Küste. Und der Leuchtturm von Sagitta, links hinter ihnen, zwinkert schon mit seinem großen, weißen Auge, das jetzt noch matt ist.
    Nun müssen wir aber ganz schnell zurück, ruft er.
    Ja, mich werden sie schon alle suchen. Ich habe doch gar nicht gesagt, daß ich fort bin.
    Fein, sagt er und meint den heimlichen Besuch. Es war doch nett, daß du mich besucht hast. Und er drückt ihr schnell die Hand.
    |157| Und wo gehen wir zurück?
    Hier. Nein, das ist viel zu weit. Oder hier? Nein, das schaffst du auch nicht.
    Vielleicht doch.
    Nein, denke, wenn wir zwischen die Schollen ins Wasser fielen.
    Zum ersten Male kommt ihnen dieser Gedanke, und angesichts der düsteren See hat er etwas Grausiges, Lähmendes.
    Warte, wir springen erst zu der kleinen Scholle. Wenn es auch nicht unsere Richtung ist, von der kommen wir bestimmt weiter.
    Nur schnell. Es wird so rasch dunkel.
    Ach, wenn wir erst richtig beim Springen sind, ist es gar nicht so weit.
    Sie springen drei, vier Schollen, dann stehen sie wieder ratlos.
    Wir müssen dort zu der ganz großen. Es ist ein bißchen weit, aber von der aus kommen wir bestimmt glatt weiter.
    Er will schon das Kommando zum Absprung geben, als er merkt, daß ihre Hand zaghaft an der seinen zieht.
    Ich glaube, es ist zu weit für mich. Sie spricht ganz leise, aber sehr klar. Ich glaube, ich habe Angst.
    Es ist gar nicht so weit! tröstet er. Das Dumme ist nur, daß es so schnell dunkel wird. Man kann die Eiskante schon nicht mehr ordentlich vom Wasser unterscheiden. Komm! Nein, sagt sie in einem ganz andern Ton und versucht, ihre Hand aus seiner zu ziehen. Ich springe nicht. Spring allein.
    Er sieht spähend in ihr dämmriges Gesicht. Und was willst du machen?
    Ich bleibe hier.
    Er späht wieder in ihr Gesicht. Das Wasser gluckst. Er fühlt, wie sie zittert. Dabei braust die See immer lauter. Los, schreit er wild und reißt sie mit sich.
    Sie kommen gerade hinüber.
    |158| Los, schreit er wieder, um ihrer Angst keine Zeit zu lassen, und sie springen wieder.
    Aber beim vierten oder fünften Sprung gleiten sie aus, taumeln hin, schlagen auf Knie und Hände. Und als sie aufgestanden sind, steht jedes für sich allein, nicht mehr Hand in Hand.
    Ich springe nicht mehr, hört er sie in derselben tonlosen, aber deutlichen Sprache wie vorhin sagen. Du kannst machen mit mir, was du willst. Ich springe nicht mehr.
    Christiane! Tia …
    Und der Leuchtturm ist auch kein bißchen näher gerückt, eher sind wir noch weiter abgekommen.
    Er wirft einen Blick dahin und sieht mit Schrecken, daß sie recht hat. Sie
sind
weiter draußen.
    Wahrscheinlich ist das ganze Eis ins Treiben gekommen, und sie springen mit ihren kleinen Sprüngen, mit ihren Kinderkräften dagegen an. Er weiß von den Fischern, an der Westküste des Boddens geht ein starker Strom ins Meer hinaus, und sie sind jetzt in diesem Strom. Aber er sagt: Wir sind ein tüchtiges Stück weiter gekommen. Wenn du das nicht siehst, bist du blind.
    Und ich springe doch nicht mehr, sagt sie. Beim nächsten Sprung falle ich bestimmt ins Wasser.
    Mit mir nie, sagt er.
    Aber sie schweigt.
    Tia, fleht er sie an, wir können doch nicht hier stehenbleiben. Wir frieren ja tot. Und wir treiben sonst immer weiter hinaus.
    Siehst du, wir treiben weiter hinaus, sagt sie. Es klingt, als ob ihr das Weinen sehr nahe wäre, aber sie weint nicht. Er überlegt fieberhaft, wie er sie aufrütteln kann. Auch ihm schmerzen die Beine (in seinen Holzpantoffeln dazu), auch ihn verwirrt das kaum noch sichtbare, leise wie ein lauerndes Tier glucksende Wasser immer mehr. Aber hier können sie doch nicht bleiben! Man muß doch etwas tun! Man kann sich doch nicht so ergeben?! Nein, kein

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