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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gerissener meinethalben, der gerissenste von allen |169| meinethalben, es wäre so schlimm nicht gewesen. Er wäre noch lange nicht der Kinderschreck der Fiddichower geworden.
    Aber wußte man nicht von ihm, daß er ein Räuber und Mörder war? Ein rechter Störtebeker, aber kein Glikedeler, sondern ein Alles-für-sich-Behalter?! Wußte man das nicht von vielen guten Zeugen? Hatte er nicht einem Bauern, sein Name sei nie genannt, geholfen, die ganze Schafherde nach Dänemark zu schmuggeln? Und hatte er nicht den Knecht des Bauern, der beim eiligen, nachtdunklen Verladen ein Schaf hatte ins Wasser fallen lassen, mit einem Fußtritt hinterher ins Meer befördert? Hatte er nicht den reichen Berliner Sommergast mit der dicken goldenen Uhr nach Insel Möen gesegelt, und der Gast war trotz aller Nachforschungen nie angekommen und nie wieder heimgekehrt? War nicht ganz Fiddichow einmütig des Glaubens, daß der Bullenberger allein es gewesen sein konnte, der am hellen Tage nach der Holzauktion zum Förster des Grafen Fidde in die Revierstube gegangen war, ihn erschossen hatte, mit dem eigenen Dienstrevolver des Försters, daß es aussah wie ein Selbstmord, und alles Holzgeld war weg? Hatten sie ihn nicht deswegen Monate und Monate im Gerichtsgefängnis in Bergen gehalten, und war er dann nicht doch freigekommen durch eine schlimme Verzauberung des Amtsrichters, den er so betört hatte, den armen Mann, daß er später sogar zu ihm zum Segeln gekommen war?
    Ein großer, schwerer, schwarzer, schwarzbärtiger Mann, ein Mann, von dem aufs Dutzend nur einer geht und keiner mehr, mit einem Stoppelwald Haaren auf den Zähnen und einem ätzenden Blick wie Vitriol. Wenn man sechs Stunden auf einer Eisscholle gehockt hat und zu drei Vierteln erfroren ist, wenn man noch dazu elf Jahre erst ist und bei sich die Tochter eben jenes Grafen Fidde hat, dem der Bullenberger sicher nicht grün, sondern haßglührot ist, dann kann man schon in dem richtigen Tonfall sagen: O Gott, es ist der Bullenberger!
    |170| Und die Antwort von den Fischen, zu denen man wohl doch noch kommen wird, geht einem auch ganz gläubig ein. Arme Christiane, da liegst du hingeworfen in eine Schlafkoje, auf einem schmutzigen, verkrumpelten Woilach, das Gesicht wachsbleich, mit brennenden, roten Flecken, und da sitzt der große, schwere Mann mit dem blauwollenen Sweater bis ans Kinn an einem kleinen Tisch und starrt auf das Mädchen und fragt argwöhnisch: Keine von der Insel?
    Zu Besuch beim Superintenden, sagt Johannes prompt.
    So, sagt der Bullenberger und geht aus der Kajüte.
    Und nun hat Johannes Zeit, mit ängstlichen Blicken zur Tür, an Christiane zu rütteln und zu schütteln, und er will ihr etwas einflüstern, aber sie hört ihn nicht, sie ist weg, sie hört nichts.
    Die Tür geht wieder und Johannes humpelt an seinen Platz. Nach dem schwarzen Bullenberger kommt der schwarze Martin, und auch er setzt sich an den Tisch, genau an die Stelle, wo der Kapitän gesessen hat, und auch er starrt auf das Mädchen.
    Hol die Pütz, Junge, sagt er. Wenn sie wach wird, wird sie kotzen. Ich kenn das.
    Wird sie denn wach werden? fragt der Junge angstvoll.
    Wenn der Käpten sie nicht vorher ins Wasser schmeißt, sagt der schwarze Martin.
    Der Junge sagt nichts, sondern holt den Eimer.
    Zu wem gehört sie? fragt der schwarze Martin.
    Martin ist ein langer, hagerer, knochiger Mann, mit dicken, krausen Negerhaaren und einem quittengelben, faltigen Gesicht. Er hat einen bösen Blick, den man nicht aushalten kann, mit dem sieht er den Jungen unverwandt an.
    Besuch vom Superintendenten.
    Wie heißt sie denn?
    Emmi, sagt der Junge. Er kann den Mann nicht mehr ansehen und tut, als sei er ganz dem Reiben seiner froststarren Hände hingegeben.
    Und weiter?
    |171| Marder, sagt der Junge.
    Na ja, sagt Martin ganz einverstanden, ich weiß nicht, was der Käpten will.
    Er steht auf. Der Junge folgt ihm mit dem Blick, aber er fragt nichts.
    Der Käpten sagt nämlich, erklärt der schwarze Martin und zieht dabei jeden einzelnen Finger lang, daß die Knochen knacksen, sie sieht wie ’ne Fidde aus. Und mit den Fiddes ist es da – er zeigt gegen die Decke der Kajüte – Essig.
    Sie heißt Marder, sagt der Junge. Genau wie der Superintendent.
    Und vorher?
    Elli.
    Na schön, sagt der Matrose und geht aus der Kajüte. Erst als die Tür zuklappt, fällt dem Jungen ein, daß er sich verquatscht hat. Und nun sitzt er da, seine eigene Flachköpfigkeit verfluchend, und wartet, daß sie kommen und

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