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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nichts mehr zu tun und hätte ausgesorgt …
    Christiane aber sah ihren Papa, wie er in der Bibliothek auf und ab ging, immer hin und her. Der letzte Graf Fidde hatte eine Abneigung gegen zuviel Licht. Sicher hatte er das Elektrische wieder gar nicht angeknipst, sondern nur die dicke, weißlichgelbe Wachskerze angezündet, die auf dem Rauchtisch zum Zigarrenanzünden stand. Es ist so dunkel in der Bibliothek, daß man die getäfelten Wände nicht sieht. Auch die Decke des zweistöckigen Raums ist nur zu ahnen.
    Der Papa geht hin und her, hin und her, immerzu. Er hat sich beim Abendessen wieder geärgert. Mademoiselle will stets um jeden Preis Konversation machen, ganz gleich, in welcher Stimmung er ist.
    Mamas Bild hängt an der Wand. Aber man sieht es nicht, trotzdem ihre Schultern so weiß sind. Christiane fühlt, Papa denkt jetzt an die Mama. Aber wenn er an die Mama denkt, denkt er immer zugleich an Christa. Mama und Christa sind ihm in eines übergegangen, und wenn er auch gerne sagt: die Fiddes haben kein Glück beim Heiraten, so bedeutet das in seinem Fall, daß Mama eben schon nach einjähriger Ehe gestorben ist. Es bedeutet gar nicht etwa immer Flachköpfe und schlechte Frauen …
    Christiane gibt sich nur ein klein bißchen Mühe, und nun geht sie neben dem Papa durch die Bibliothek. Und der Papa sagt zu ihr: Weißt du, Christa, daß mir das nicht eher eingefallen ist! Wir legen eine Brücke zu Mama und besuchen sie einfach. Er lacht. Komm, faß gleich an.
    Und sie fassen die große Perser-Brücke an und legen sie von der Erde hinauf zu dem Bild, und dann gehen sie über die Brücke in das Bild hinein zu Mama. Und Mama begrüßt |165| sie lächelnd und sagt: Aber nein, Christiane, wie du groß geworden bist. Kannst du jetzt auch ordentlich Französisch? Sage einmal Ayez pitié de moi!
    Aber was macht Johannes hier? Er ist auch hier. Er sitzt auf dem schönen englischen Barocksessel, auf dem Papa sonst so gerne sitzt, in seinem alten, schlechten, grünen Anzug mit den schreiend braunen Flicken, um derentwillen sie schon seine Mutter nicht mag, und sagt: Die Fische können auch nicht Latein, was brauche ich Latein?! Und Mama lacht hell auf und sagt: Was für ein Junge! Ist er ein Fischerjunge –?
    Johannes erwacht davon, daß eine Stimme direkt bei ihm sagt: Achtung, Treibeis! und wieder: Achtung, Treibeis!
    Er sieht um sich. Er ist sich sofort ganz klar, wo er ist. Trotzdem er sich eben noch in den warmen Schoß der Mutter Erde verkrochen hatte, weiß er sofort ganz genau, daß sie auf einer Scholle in offener See treiben. Es ist immer noch tiefste Nacht. Der Leuchtturm von Sagitta ist ganz fern, wie ein zwinkerndes Auge.
    Eine kratzige, rauhe Stimme sagt in nächster Nähe, als wäre es auf der Scholle selbst: Achtung, Treibeis! Nimm sie etwas Steuerbord.
    Steuerbord ist, sagt eine andere Stimme.
    Johannes sieht ganz nahe etwas wie eine große, tiefschwarze Wolke. Ein Segelschiff also, ohne alle Lichter. Er will aufspringen, er ist wie elektrisiert, aber er kann kein Glied rühren. Alles ist ein- und angefroren. Aber seine Zunge ist nicht eingefroren, und er schreit, schreit aus Leibeskräften: Hilfe! Hilfe! Mann in Not! Hilfe! Er setzt sich auf, er rüttelt Christiane, aber die gibt nur einen verschlafenen, ungnädigen Laut von sich.
    Auf dem Schiff ist es totenstill geworden. Nichts rührt sich eine lange Zeit. Schon will er wieder anfangen zu rufen, da sagt der kratzige Baß dort: Au verdammt.
    Und wieder ist es still. Aber Johannes hört etwas wie ein Getuschel. Wir sind ganz festgefroren, sagt er, aber nicht mehr so laut.

[ Menü ]
    |166| Wir? fragt die Stimme drüben. Wieviel seid ihr denn?
    Zwei, sagt Johannes, macht bloß schnell.
    Wer seid ihr denn?
    Kinder, sagt er wütend, Kinder aus Fiddichow.
    Der kratzige Baß murmelt etwas drüben. Zugleich scheint das Schiff sich zu entfernen.
    Wat! schreit Johannes und kämpft in wildester Wut gegen die Starrheit seiner Glieder, wullt ji afseiln un uns dotfreern laten? Ji verdammte Störtebekers, ji!
    Das sind wahrhaftig Fiddichower, Käpten, sagt eine Stimme drüben.
    Falle, sagt die kratzige Stimme, nichts wie Falle.
    Jawoll bün ick en Fiddichower, schreit Johannes. Ick bün en Gäntschow ut Warder, un wenn ji gottsverdammte Dusenddüwelkirls uns dotfreern lat, sleit min Vadder juch den Bregen mit de Kantüffelhack in.
    Das ist ein Gäntschow, sagt die helle Stimme.
    Mall genug ist er dafür, antwortet die kratzige. Na, tüter die Jolle los und hol

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