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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Loos. Dann kommt Rehberg Ort – weißt du nun?
    Ganz weit draußen, sagt der Junge. Ja, ich bin noch nicht dagewesen, aber ich kann es mir denken.
    Ich kann euch nicht näher absetzen, sagt der Bullenberger ganz friedlich, wegen der Grünen. Und mit dem Grog im Leibe wird das Laufen dann schon gehen. Hör zu, Gäntschow. Nicht den Strand entlang, das ist viel zu weit für euch. Gradeaus, durch die Dünen, immer von der See weg. Dann stoßt ihr aufs Dorf oder aufs Rittergut. Schranzke, der hat Telefon, verstehst du?
    Ja, sagt der Junge.
    Na schön, sagt der Bullenberger, und laß sie sich nicht hinsetzen. Ihr müßt immer in einem weg laufen. So schwer es euch fällt.
    Er sieht noch einmal die beiden an. Ein ernster, fast bekümmerter Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Plötzlich lacht er kurz auf: Leg den Schraubenschlüssel man weg, Junge. Wolltest du mich totschlagen? Er lacht böse, und böse lachend geht er aus der Kajüte.
    |177| Und nun drängte sich alles rasch und immer rascher, immer verwirrender an ihnen vorüber, wie die schnell aufeinanderfolgenden Bilder eines Traumes kurz vor dem Erwachen: das rasch geflüsterte Zwiegespräch in der Kajüte mit dem verstörten Ausruf des Johannes: O Gott, er hat dich auch verzaubert! Nun mußt du immer tun, was er will.
    Und der schwarze Martin, der mit zwei Groggläsern hereinkommt und der sie dann, wie es scheint, die Minute darauf auf seinen Armen durch das flache Wasser an den Strand trägt. Wie sie dort stehen, und sie hören noch einmal das Steuerruder knarren und den Wind im Segel flappen und sehen nichts mehr in der Nachtschwärze. Und dann der stolpernde, fallende Weg landein, über Dünen und hartgefrorenen, knolligen Acker, immer auf einen funkelnden Stern zu. Wie sie sich doch hinsetzen, an allen Gliedern vor Überanstrengung zitternd, im Schutz eines Wacholderbuschs, und wie er sie dann wieder hochzerrt und mit sich schleppt, hinter sich herschleppt, den endlosen, endlosen Weg lang, dem Flimmerstern zu.
    Wie er immer, immer das Reden von ihr hört, hinter sich, halbes Schlafreden, von ihrer schönen Mama … Und wie er schließlich alles aufgeben möchte und verzweifelnd denkt, daß sie nie, nie irgendwohin kommen werden, daß nie wieder eine Sonne aufgehen wird. Und wie es einmal ein Strohschober war und einmal zwei Bäume, als er schon glaubte, sie wären da. Und als er den ersten festen, gefahrenen Weg wieder unter seinen Füßen spürte und die dunklen Klötze waren wirklich Häuser, und er mit ihr auf ein einsames Licht zustolperte und endlos an einer Tür rumfingerte, und die Tür ging schließlich überraschend auf, und sie waren im dunstwarmen Pferdestall von Schranzke, wo der Futtermeister den Morgenhafer schüttete. Wie die Christiane ohne ein Wort hinklackste auf den Gang, und er stand taumelnd an der Wand und stammelte nur immer dem erschrockenen, schlafdummen Futtermeister ins Gesicht: Grog … Grog … Grog … Und wie der an Gespenster glaubte, an die Geister ertrunkener Kinder, aus der See aufgetaucht.
    |178| Und es ist wie ein tiefer, böser, schmerzhafter Traum, und Johannes wacht auf aus ihm und sieht sich in der Leutestube und taumelnd zwischen Müdigkeit und Todesverlangen weiß er doch, daß er, ehe er endgültig einschläft, noch etwas sagen muß, ein Wort nur. Und er bemüht sich, es zu sagen. Und all die erschrockenen Leutegesichter sehen auf seine Lippen und verstehen das Wort nicht. Und plötzlich schreit eine alte, runzlige Frau los: Er sagt, Gräfin Fidde! – Wo habe ich denn meine Augen gehabt? Das ist ja die junge Gräfin! Und er legt sich erleichtert zurück und kann schlafen, schlafen, schlafen. Und in seinen Traum hinein klingeln Schlittenglocken, lange, lange, und er sieht flüchtig etwas wie einen großen, grauhaarigen Mann mit scharfem Gesicht und weiß, nun ist der Graf da und alles ist gut …
    Und eine Stimme sagt:
O le pauvre garçon.
Und er denkt: pauvre – arm. Und dann ist alles weg und er ganz allein. Nur daß natürlich die See rauscht, wie sie die ganze Nacht um sie gerauscht hat.
    Es war Winter und es wird wieder Frühjahr. Es wird gepflügt und gesät, Kunstdünger gestreut und Kartoffeln gesteckt. Es kommt der Sommer, der Klee blüht und wird gemäht, der Winterweizen fällt und der Roggen, die Erntewagen klappern auf allen Straßen, und auf den gelben und grünen Schlägen färben sich schon Äcker hinter dem Schälpflug wieder erdig braun. Es wird mehr und mehr braun, triefend von Nässe, mit

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