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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sie, Martin.
    Nach einer Weile, in der Johannes Martin zu seinem Platz hindirigiert, ist endlich der große Schatten vor ihm aufgetaucht. Nimm sie zuerst, kommandiert Johannes, sie ist steif gefroren wie ein Eiszapfen.
    Ein kleines Mädchen, sagt Martin und ruft zum Schoner hinüber. Ein kleines Mädchen ist auch da, Käpten.
    Hol di fuchti! schreit der von drüben rüber.
    Na nu kommt du man, mein Junge. Laufen? Is nich. Mußt erst mal auftauen. Na, wir haben alles da für einen Grog.
    Warum führt ihr denn keine Lichter? fragt Johannes. Ihr müßt doch Lichter haben.
    Halt dein Maul, sagt Martin und setzt ihn ins Boot.
    Es sind nur vier oder fünf Ruderschläge, dann sind sie längsseits. Wie Pakete werden die Kinder im tiefsten Stillschweigen hinaufgereicht.
    Laß sie erst mal liegen, Martin, daß wir wieder Fahrt kriegen. Das hier ist verdammtes Gewässer.
    |167| Johannes hört, wie sich das flappende Segel mit Wind füllt, gleichmäßig fängt es an zu rauschen.
    Nordnordost, sagt die kratzige Stimme.
    Nordnordost ist sie, sagt die hellere.
    Dann wird Christiane aufgehoben und fortgetragen. Ein leiser Lichtschimmer fällt einen Augenblick auf das Deck, und wieder ist es dunkel. Dann wird auch er hochgehoben und ein Treppchen hinuntergetragen. Helle, Wärme, Essensdunst – und ein schwarzbärtiges Gesicht betrachtet ihn prüfend aus finsteren, bösen Augen.
    O Gott, sagt Johannes und versteht plötzlich alles Geheimnisvolle. Es ist der Bullenberger!
    Jawohl, mein Sohn, sagt der Schwarzbart grimmig, der Bullenberger, und sicher ist es noch lange nicht, daß ich euch nicht wieder ins Wasser schmeiße.
    Der Bullenberger aber war auf der Halbinsel Fiddichow eine fast mythische Persönlichkeit. Wenn man in andern Gegenden die Kinder mit dem Butzemann oder dem Schwarzen Mann schreckt, so sagen die Mütter auf Fiddichow: Töv, de Bullenbarger halt di up sien Schipp.
    Ein Schiff hatte er. Aber er hatte dazu auch einen Hof, den ärmsten, verkommensten, einsamsten Hof auf der ganzen Insel. Da, wo sich die Halbinsel zu einem viele Kilometer langen, schmalen Dünen- und Sandstreifen verengert, da, wo zwischen den Dünen nördlich und den Dünen südlich kaum noch Land ist, liegt der Bullenberghof. Ob sein letzter Besitzer sich am Dachsparren aufgehängt hat, ob er verzweifelt in die Welt geflohen ist, weiß man nicht mehr: lange war der Bullenberghof herrenlos. Es gibt ein Gerede auf Fiddichow: Sand ist schlimm, Flugsand ist schlimmer, klingender Sand ist am schlimmsten, aber Bullenbergsand –!
    Der Bullenberger hat sich da angesiedelt, hat in der äußersten Welteinsamkeit vom herrenlosen Gebiet Besitz genommen. Wann, weiß niemand. Er kann Jahre da gehaust haben, ohne daß es jemand gemerkt hat. Er lebt dort mit einem einäugigen, grauzotteligen Weib, von dem keiner weiß, ist es |168| seine Mutter, Schwester oder Frau; mit einer Schar Kinder, blonden und schwarzen, von denen man nicht weiß, sind es ihre, seine, wessen; mit einem grauen, uralten Fliegenschimmel und einer Kuh, die nur Haut und Knochen ist. Er baut ein bißchen Hafer, ein bißchen Roggen, steckt ein paar Kartoffeln in den Sand und erntet davon soviel, wie ihm Sand, Dürre und wilde Kaninchen zukommen lassen.
    Sie müßten alle verkommen in der dürren Wildnis, in dem halb verfallenen Dings, wenn es mit rechten Dingen zuginge. Aber es geht eben nicht mit rechten Dingen zu, und damit es das nicht geht, dafür ist der Kutter da. Umsonst krauchen nicht, seit der Bullenberger dort wohnt, die grünen Zollwanzen den breiten herrlichen Sandstrand so oft entlang, liegen in den Dünen herum, und die Landgendarmen hocken in den Kiefernbüschen. Es geht eben nicht mit rechten Dingen zu auf dem Bullenberger Hof.
    Da ist das Haus, fast keine heile Diele, die Fenster aus Zeitungspapier und Lumpen, die Steine zerbröckeln, in den Dachbalken tickt der Wurm.
    Und dieser Kutter dazu, unten auf dem Sandstrand! Jede Spiere in Ordnung, jedes Tau aufgezurrt, wie es sein soll, jede Ritze kalfatert …
    Wozu haben Sie denn den Kutter?
    Ich fahr mit spazieren.
    Wovon leben Sie denn?
    Von meinem Hof.
    Mann Gottes, Sie können doch nicht von sieben Halmen Korn und drei Pfunden Kartoffeln leben.
    Essen Sie mit, Herr Gendarm.
    Wir erwischen Sie doch noch.
    Natürlich, natürlich, Sie erwischen mich noch.
    Wir werden Ihnen schon Ihr sauberes Schmuggelhandwerk legen.
    Schmuggeln? Reden kann man viel, Herr Landgendarm!
    Ach, wenn der Bullenberger nur ein Schmuggler gewesen wäre, ein

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