Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
wie – wie ein Besenstiel.
    Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht wußte der Graf das selbst sehr gut, und vielleicht ließ er gerade darum seiner Christiane sehr viel Freiheit? Auf daß sie einmal nicht so werde wie er. Hatte er nicht siebzehn Jahre einen Inspektor gehabt, einen jovialen Grobsack aus der Mark, mit Bauch im Jägerhemd, der immer imstande war zu sagen: Das verstehen Sie nicht, Herr Graf … Hatte er nicht auf diesen Mann Schlösser gebaut, Festungen und Burgen, und hatten nicht Gäntschow und Christiane in vier Wochen herausbekommen, daß dieser verheiratete Biedermann mit fünf blauäugigen Kindern nichts weiter war wie ein Schuft und ein Dieb? Hatten sie nicht fertiggebracht, die beiden, was kein Förster, den er je gehabt, fertiggebracht hatte, daß der Holzdiebstahl ganz aufgehört hatte und das Wildern fast ganz. Wo waren sie denn nicht? Welcher Fleck Fiddichower Erde war sicher vor ihnen? Welcher Häusler konnte noch wagen, beim Weizeneinfahren ganz gemütlich ein paar Hocken vom gräflichen Nachbarn mitgehen zu lassen, wo diese beiden in jeder Hocke, in jedem Straßengraben, auf jedem Baum sitzen konnten?
    Und nichts von Krach mehr, nichts von Landgendarmenbesuchen mehr, keine Gerichtstage, gar nichts.
    Na, das ist nett von dir, Wittstock, daß du dem Grafen ein bißchen Roggen fahren hilfst, sagte Johannes grinsend. Gleich an die zweite Scheune, bitte, ich sage dem Inspektor schon Bescheid. Der Teufelskerl!
    Bewundern, ja rückhaltslos bewunderte Christiane ihren Freund, in tausend Dingen ordnete sie sich ihm selbstverständlich unter. Er: gewachsen aus dieser Erde. Sie: gewachsen auf dieser Erde. Er: ein Fiddichower, sie: eine auf Fiddichow.
    Aber lieben? Lieben? Sie waren Geschwister, und wenn sie gleichaltrig waren, so war sie ihm doch in vielen, vielen |184| Dingen weit voraus. Und darum spürte sie, spürte es gerade im täglichen Beieinander, wie fern er ihr und allen Menschen eigentlich war. Ich, Johannes Gäntschow – natürlich hatte Papa recht. Papa hatte immer recht!
    Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn. Eine Ewigkeit kann liegen zwischen dem Acht-Uhr-Schlag an der Kirche in Kirchdorf und dem Mittagläuten, besonders, wenn im Sommer die Fliegen so summen und Marder seinen fleißigen Tag hat und ihnen nicht von der Pelle geht. Aber ein Tag ist vorbei wie nichts und eine Woche ist versunken – wann war eigentlich Mai? Gestern? Wann haben wir Mutter Bromme die Pantoffeln in ihr Brot eingebacken? 1905? 1906? Weißt du noch, wie du aus unserem Schlitten gesprungen bist, Hannes, damals, ganz im Anfang? Jetzt lacht Eli, wenn er dich nur sieht!
    Und der Bullenberger, denkst du noch an ihn?
    Und der Storch, den wir gefangen hatten, und du machtest ihm aus einem Gardinenring einen Fußring mit einem Zettel darin, und wir bekamen eine englische Karte aus Hu am Nil? Sechzehn – und sie werden konfirmiert, aber Hannes ist erfüllt von einem Mann, der Schopenhauer heißt, und grinst über alles. Sechzehn – und sie fahren nach Stralsund unter Marders Obhut, zu einer Prüfung, zu der Einjährigen-Prüfung und bestehen sie, trotz aller Faulheit, mühelos. Und sehen sich an im dreiviertellangen Kleid und der ganz langen Büx, und alles scheint plötzlich ganz anders, nein, nicht plötzlich, sondern unmerklich anders geworden, und sie stellen es nur plötzlich fest.
    Sechzehn – und der Bullenberger rührt sich noch einmal, und noch einmal haben sie ein ganz großes Erlebnis miteinander. Sechzehn!
    Um den Bullenberger war es manches Jahr sehr still gewesen. Er hauste dort oben in seiner Einsamkeit. Er trieb ein Gewerbe, das kein Fiddichower sonst betrieb, nicht Bauer war er und nicht Fischer, fast wurde er vergessen. Manchmal hieß es, er wohne überhaupt nicht mehr oben, und der Bullenberghof |185| sei wieder leer. Aber dann kamen die Fischerboote in den Hafen zurück und hatten sein rostrotes Segel gesehen, oder der schwarze Martin saß wieder einmal stumm wie ein Fisch viele Stunden im Kirchdorfer Krug, bis er vom jung verheirateten Gastwirt Reese, der sich nach Bett und der neuen, frischen Frau sehnt, an die Luft gesetzt wird, und, in jeder Tasche eine volle Schnapsflasche, die zweiundzwanzig Kilometer Strand nach dem Bullenberge unter seine taumligen Füße nimmt.
    Der schwarze Martin hatte manchmal Geld, viel Geld, also ging das Geschäft da oben immer weiter. Und wenn die Fiddichower nichts davon merkten, so darum, weil es eine Art

Weitere Kostenlose Bücher