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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Geschäft war, von dem sie nichts verstanden. In aller Stille ging der Kampf wohl immer weiter. Immer schärfer, immer weiter, oft sagten sie, man hätte doch noch nie so viel und so oft die grünen Zollsoldaten auf der Insel zu Gange gesehen. Und wenn der Landgendarm nur den Namen des Bullenbergers hörte oder gar den langen, immer fruchtlosen Weg zu ihm machen mußte, war jede gute Laune bei ihm hin. Und der bestaufgeklärte Diebstahl konnte ihn nicht mehr freuen.
    So was sind ja alles Stümpereien, sagte er verächtlich, aber ein Aas gibt es, wenn ich das einmal fasse …
    Der große, schnapsrotgesichtige Gendarm dachte wohl an die vielen, fruchtlos in den Kiefernkuscheln am Bullenberghof versessenen Nächte, an die unvermuteten Haussuchungen im Dutzend, die stets vergeblich gewesen waren, an den so oft nächtlich gemeinschaftlich mit den Zollsoldaten erkletterten Kutter, der stets sauber gewesen war.
    Es hätte doch die einfachste Geschichte von der Welt sein müssen: da hauste ein Mann mit einer großen Familie – von nichts. Und er hielt sich einen schönen, kräftigen Kutter – für nichts. Segelfahrten aus Passion, sagte der Hund, und er bezahlte noch einen Matrosen und bezahlte ihn gut – auch aus Passion, für nichts. Es hätte doch einmal klappen müssen, aber aus dem Nichts wurde immer wieder nichts.
    |186| Nein, wenn die Fiddichower auch kaum noch etwas vom Bullenberger in allen diesen Jahren hörten, der Kampf ging wohl immer schärfer weiter. Hier war ein Mann, der nichts hatte als seinen Verstand und seinen Haß gegen die Ordnung der andern, und dort waren die vielen, mit dem Gesetz im Munde und den Waffen in den Händen, und sie bedrängten ihn hart, sie bedrohten ihn, sie überrumpelten ihn.
    Zwei Mann, der Bullenberger und der schwarze Martin, dazu vielleicht noch die heranwachsenden, schlauen, gerissenen, harten Wildlinge von Kindern, und auf der andern Seite der ganze Staat in Uniformen, zollgrün und gendarmeriegrün, mit Karabinern, Pistolen, Gesetzesbüchern, Zollvorschriften, Seerecht, Auflagen und vergitterten Fenstern.
    Wenn er ein Lump war und ein Betrüger, ein Verbrecher und ein Schmuggler, einen harten Kampf kämpfte er jedenfalls, zäh, als ein ganzer Kerl.
    Dann kam der herrlich strahlende Sommermorgen, taufrisch, mit Wind und später sehr heiß, an dem am Fabiansruher Strand erschossen ein Mann lag. Es war gerade in jenen Jahren, da das kleine Fabiansruh ein bißchen in Aufnahme kam als Seebad, und die Sommergäste waren entsetzt, daß da ein schwärzlicher Ermordeter auf dem Strand in einer Blutlache lag, und viele reisten ab. Es war ein schwerer Schlag für die Fabiansruher, es war Anfang der Saison, und das neue Strandhotel war gerade fertig geworden, und sein Besitzer, Lange, konnte leere Zimmer nur schwer vertragen. Aber was war die Kümmernis in Fabiansruh gegen die Erregung der ganzen Halbinsel? Seit manchem Jahrzehnt war hier kein Mord vorgekommen. Sie waren immer stolz darauf gewesen, daß es so etwas wie Mord oder Einbruch bei ihnen eigentlich nicht gab. Totschlag im Streit, Raufhändel, jawohl, aber nicht Mord oder Einbruch. Nicht von Eingeborenen, nein!
    Nun, der Tote, der Erschossene am Fabiansruher Strand, der mit so finsteren, gebrochenen Augen in den strahlenden Julihimmel hinaufstarrte, war auch kein Eingeborener gewesen, |187| sondern ein Landfremder, von dem man nicht einmal den vollen Namen wußte, kurz gesagt also der schwarze Martin. Aber immerhin war dieser Fremde auch der Erschossene, und der Mörder konnte jeder sein, auch jeder Fiddichower. Die ganze Insel brauste auf wie ein Bienenhaus, in das ein Feind eingedrungen ist, und so viele Wagen waren noch nie nach dem abseitigen Fabiansruh gerollt, selbst nicht zu den bäuerlichen Reiterfesten, wie an jenem schönen Sommertag. Aber die Neugierigen kamen nicht auf ihre Kosten: die Blutlache am Strande war schon verschwunden, und der Zutritt zum neuen Strandhotel, in dessen Saal der Tote trotz des schreienden Protestes seines Besitzers gebracht war, lag gesperrt.
    Gegen Mittag wurde der Befund der aus Bergen herbeigeeilten Mordkommission schon bekannt: erschossen von hinten, aus etwa dreihundert Meter Entfernung, mit einem Stahlmantelgeschoß aus einer kleinkalibrigen Jagdbüchse oder einem Karabiner. Von unbekannter Hand.
    Es war Nachmittag, als auf der Straße von Kirchdorf her der altersgraue Fliegenschimmel des Bullenbergers auftauchte, in einem wilden Trab, den man dem alten Tiere nie zugetraut hätte.

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