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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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der Bullenberger war nicht da. Er war seit zwei Tagen nicht zu Haus gewesen. Es war ja zu verstehen, daß der Kirchdorfer Gendarm über den Verlust seines Karabiners wütend war (an jenem Tage hatte es noch nicht bei ihm gebrannt), aber vielleicht war er in seiner Wut bei der Vernehmung von Frau und Kindern zu weit gegangen. Das hätte er nicht machen |190| sollen, sagte viel später mißbilligend der Sagarder Gendarm, die kleinen Kinder bedrohen, daß sie den Vater verraten sollten. Und was er sonst noch gemacht hat … Er wollte sie ja von Haus und Hof jagen.
    In der nächsten Nacht brannte der Gendarm dann ab.
Er
war von Haus und Hof gejagt.
    Aber Besuche auf dem Bullenberghof waren zwecklos geworden, das sahen die Gendarmen nach einem neuerlichen, glühheißen Marsch durch den Sommertag. Der Bullenberghof war geräumt, leer die Stuben, leer die Ställe, das bißchen Hungergetreide runtergetrampelt, die paar Kartoffeln ausgerissen. Es war wirklich unnötig, daß sie noch an den Strand gingen: der Kutter war wirklich weg.
    Er wird ja in Finnland Freunde genug haben, wo er bleiben kann. Na, du kannst dich freuen, Wilhelm, bist den Stänkerer aus dem Revier los.
    Ja, ja, sagte der Gendarm Wilhelm tiefsinnig. Er hätte sich gern richtig gefreut. Aber es ging nicht. Nicht nur wegen des gestohlenen Karabiners ging es nicht, nicht nur wegen des abgebrannten Hauses nicht, nicht nur wegen des Gefühles nicht, der Bullenberger sehe die Rechnung trotz allem immer noch nicht für glatt an. Er war nicht gerade ein feiger Mann, der Gendarm Wilhelm, selbst vor einem Bullenberger fürchtete er sich nicht gleich. Nein, es war ganz etwas anderes.
    Seit vierzehn Jahren machte Gendarm Wilhelm auf Fiddichow seinen Dienst, und er hatte immer das Gefühl gehabt, er komme sehr gut mit den Fiddichowern aus. Ein Gendarm hat es nicht leicht, mit der Bevölkerung gut auszukommen, aber er muß das. Wenn der Magdeburger Wilhelm auch ein Fremder auf dieser nördlichen Halbinsel war, er hatte gemeint, die Fiddichower seien mit ihm warm geworden. Er hatte mit ihnen geschwätzt und gepichelt, er hatte Witze gerissen, und er hatte die düsterste Stimmung verscheuchen können, wenn er, der Provinzsachse, plattdütsch to snacken anfing.
    Nun, da er abgebrannt war, nun, da er dachte, alle seine Freunde würden kommen, die Gewerbetreibenden, die Bauern, |191| und würden ihm Quartier anbieten, sie würden sich darum reißen, das oberste Gesetz der Halbinsel bei sich aufzunehmen, nun kam keiner. Mit seinen Kindern und seiner Frau saß er zwischen dem bißchen geretteten Hausrat im Obstgarten. Über ihm, an den versengten Apfelbäumen, saßen häßliche, kleine, schwarze Bratäpfel, und wenn die Leute noch fern waren, so glotzten sie, und wenn sie nahe kamen, so sahen sie zur Erde oder fort, aber niemand sprach ein Wort zu ihm.
    Er war zurück von seiner Tour. Er saß da im Obstgarten und grübelte. Es konnte doch keine Schande sein, wenn einem das Haus von einem Verbrecher angesteckt wurde? Oder doch? Er verstand nichts, er saß und grübelte.
    Am Mittag kam der Gemeindevorsteher, auch ein sehr guter Freund von ihm, und sagte sehr verlegen und stotternd: So, nun sei die große Stube einigermaßen sauber und in Ordnung, und wenn er so gut sein wollte –? Das bißchen Zeug lasse sich ja leider tragen. Es hätte nicht gelohnt, den Pferden in dieser eiligen Erntezeit die Futterpause zu kürzen.
    Die große Stube beim Schulzen wäre nun wirklich gut genug gewesen, aber dem Gendarmen erschien doch der Schulze gar zu rot und stockend. Erst war er erleichtert aufgestanden, aber nun setzte er sich wieder und fragte ganz harmlos: Welche große Stube wohl? Nun ja, er wisse es ja am besten, wie es jetzt sei zur Erntezeit, und überall habe man die Erntearbeiter drin sitzen, und so sei es denn eben die große, die beste Stube im Armenhaus geworden.
    Der Gendarm wurde ganz weiß. Er ist doch ein König auf dem Lande, ein stolzer Herr und Gebieter, und nun soll er mit dem Dorftrottel, dem alten Säufer Timmermann, mit der Machulke, die aus dem Kaffeesatz wahrsagt, zusammenwohnen.
    Er sitzt da, sehr weiß, seine fetten Wangen zittern, er versteht ja nicht, was geschieht, warum ihm geschieht, was ihm geschieht. Aber im Unglück wird er fester, nichts mehr von der alten Redseligkeit. Der jammernden Frau verbietet er |192| barsch den Mund. Aber in das Armenhaus ziehe ich nicht, und ich bleibe hier sitzen mit meiner Familie, bis du mir anständiges Quartier verschafft

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