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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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mißhandelt man nicht. Und daß er sie weggebracht hat von hier, das wird schon seinen guten Grund und Ursach’ haben. Aber ich verbrenne mir den Mund nicht, wenn sie’s auch aus allen Fenstern schreien, die Machulken verbrennt sich ihren Mund nicht, aber wenn Asche reden könnte, die Asche im Bullenberger Herd würde wohl schreien zum Himmel, und die zerkloppten Haselruten sollen ja noch am Bullenberger Birnbaum liegen, wo einer Kinder angebunden haben soll …
    Verlogenes, gemeines Geschwätz, sagte Wilhelm, etwas mühsam lächelnd. Wir sind zu drei Gendarmen dort gewesen, erklärte er den beiden, glauben Sie, daß da so etwas möglich ist? Aber, Machulken, jetzt geht es nicht mehr mit einer Anzeige wegen Felddiebstahl ab, jetzt kommen Sie mit nach Kirchdorf ins Spritzenhaus, wegen Verleumdung und Beamtenbeleidigung.
    |197| Natürlich bin ich verlogen, natürlich bin ich gemein, natürlich muß ich noch mit meinen ehrlichen Zweiundsiebzig aufs Spritzenhaus und nach Bergen ins Gefängnis – aber ist nicht aus dem Kaffeesatz für den kleinen Ernst ein Kreuz gekommen?! Ist die eigene Mutter nicht bei mir gewesen und hat gefragt, ob der Vater das Kind leben läßt?
    Es ist so still unter den vieren nach diesem Satz, daß man ein schreckliches Knirschen hört. Sie sehen nach dem Gendarmen. Er kaut, er kaut wütend auf seinem rotblonden Schnurrbart, daß die Zähne knirschen. Aber die Machulke ist wild, ihr Mund ist frei, ihre Zunge läuft, sie ist voll, kübelvoll Unrat. Und liegt nicht auch neben dem toten Schwarzen auf dem Fabiansruher Strand ein Kreuz? Nicht sein Kreuz, nein, es ist ein ander Kreuz, und wer heute denkt, er kann gegen die armen Leute seine Hand erheben und sie ins Gefängnis stecken, gegen den wird unser lieber Herr Jesus Christus den Finger aufheben und sprechen …
    Entschuldigen Sie, sagt der Gendarm, die Alte ist wie toll. Kommen Sie, Machulken.
    Ich, – fängt Christiane an.
    Nein, nicht, sagte Johannes hastig.
    Und sie ist still. Eine Weile sehen die vier eins auf das andere. Eine plötzliche Stille ist über sie gefallen, eine Leerheit, als sei schon alles gesagt. Aber was ist gesagt? Das, was die Alte gesagt hat, beginnt schon, sich aufzulösen, gestaltlos zu werden. Was eben noch Kontur hatte, ist jetzt schon wie eine Wolke, deren Ränder zu zerfließen beginnen, aufgelöst von der klaren Sommersonne … Christiane spürt plötzlich wieder den frischen Seewind im Roggenschlag, wie er in Stößen kommt und die Hitze von ihrem Gesicht abnimmt. Eben war noch alles schwelende Glut, schwelend, die Herzen verbrennend.
    Also komm, sagt sie zu Johannes und sieht die beiden andern nicht mehr an.
    Der steht nachdenklich. Sein Blick geht hin und her, zwischen der alten Machulke mit dem faltigen, gelben Gesicht |198| und den hellen, grellen Augen und den beiden langen, bräunlichen Zahnhauern im Oberkiefer und dem breiten wohlgenährten Gendarmen Wilhelm, mit den festen, roten Backen und dem in der Sonne glänzenden, kaiserlich aufgewirbelten Bart. Es ist, als wöge er die beiden gegeneinander ab.
    Also kommen Sie, Machulke, sagt der Gendarm noch einmal.
    Die Rübenblätter schenkt dir Christiane, sagt Johannes plötzlich, die hast du nicht gestohlen.
    Aber, fängt der Gendarm an, und kann nicht weiter. Es ist, als hätte er einen Stoß vor die Brust bekommen.
    Los, Christiane, sagt Johannes, als sehe er nichts mehr, höre er nichts mehr.
    Und die beiden gehen weiter, in den Roggen hinein, nach Fabiansruh zu, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Komm, Machulken, sagt der Gendarm und strafft sich mit einem Ruck, das wollen wir erst einmal sehen, ob Inspektor Kaliebe des Grafen Eigentum ebenso großkotzig verschenkt wie dieser Bauerntöffel.
    Aber die Machulken sagt nichts mehr, die geht ganz ruhig vor dem Gendarmen her, und nur manchmal bleibt sie stehen und schiebt ächzend und leise mit sich brabbelnd die Tragbänder ihrer Kiepe zurecht, als sei sie ganz mit sich allein.
    Es ist etwas Schauerliches, wenn ein Mensch aufwacht und entdeckt, wie einsam er ist. Gendarm Wilhelms Leben war Tätigkeit und Bewegung, Reden mit allen Leuten, laute, herzerfrischende Gelächter an vielen Biertischen, Ehrengast auf jedem Hof, für den die Kognakbuddel aus jedem Schrank geholt wurde und die beste Zigarrenkiste vom Schrank herunter. Er hatte eine Frau gehabt, eine etwas ängstliche, schüchterne, leicht zu Tränen gereizte Gefährtin, die er bei guter Laune gern mal umfaßte und auf den Hintern klopfte: Na, Mudding,

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