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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wie ist das mit uns?
    Er hatte außer einem fünf Kinder, fünf rotblonde, gradgewachsene, blauäugige Kinder, die sein Stolz waren. In der Schule bei Kantor Bockmann saßen sie immer unter den |199| Ersten, sie antworteten laut und deutlich, wenn man sie etwas fragte, gaben jedem Fremden unverschüchtert die Hand und gaben auch hier ohne Ziererei Auskunft, wie es sich gehörte. Er hatte eine strafenlose, mit Auszeichnungen bedachte Laufbahn beim Kommiß hinter sich, bei allen Offizieren war er als der verläßliche Feldwebel Wilhelm bekannt gewesen, dem nie ein Dienst zuviel gewesen war und der im schlimmsten Manöverdreck noch einen Witz riß. Er hatte hier auf Fiddichow zwei Landräte erlebt, und trotzdem diese beiden die größten Gegensätze gewesen waren, der eine ein rechter kleiner, bürgerlicher Pedant, der andere ein großer Herr vom Adel, so war er doch bei beiden sehr gut angeschrieben gewesen.
    Nun saß er im Dunkeln unter einem Baum im Pfarrgarten und – all das war weg. Nichts galt. Er war grenzenlos allein. Jetzt fiel ihm auf, daß er nie einen richtigen Freund gehabt hatte. Soviel er grübeln mochte, er hatte mit seiner Frau nie ein Gespräch gehabt, das über Dienst, Hauswirtschaft und Ärger hinausgegangen war.
    Als er heute nachmittag, am dritten Tag nach dem Zusammenstoß mit der Machulke, nach einem Telefongespräch mit dem Landrat ins Haus gekommen war und ohne ein Wort langsam die grüne Uniform ausgezogen, sie Stück für Stück auf den Bügel gehängt hatte, als der Koppelriemen mit dem Säbel im Schrank war und er den hellgrauen, so ungewohnt lockeren Zivilanzug angezogen hatte, da hätte sie doch ein Wort sagen, eine Frage stellen sollen. Selbst der trockene Landrat hatte ein bißchen tröstend gesagt: Es ist sicher nur ganz vorübergehend, Wilhelm, bis zur Klärung der Sachlage. Aber nein, sie hatte nichts gesagt, nichts gefragt. Da war denn auch er ohne ein Wort in den Garten gegangen, und hier saß er nun schon seit vielen Stunden bewegungslos auf der Bank und versuchte, sich klarzuwerden. Die kleine Eva mit dem kupferfarbenen Haar, sein Liebling, war gelaufen gekommen und hatte gesagt: Vater, sollst zum Abendessen kommen, und er hatte den Kopf geschüttelt und nein geantwortet. Aber auch |200| sie war fortgegangen ohne eine Frage. Schließlich konnte er krank sein. Aber nach ihm fragte keiner, nicht ein einziger.
    Und warum? War es wirklich wegen dieses lächerlichen Geschwätzes gekommen, wegen des Bullenbergers und wegen des Verhörs von des Bullenbergers Kindern? Aber warum hatten sie solch Geschwätz ausgesprengt über ihn, warum war ein jeder sofort bereit, es zu glauben, vom Dorfschulzen bis zum Superintendenten, von der Machulke bis zur Freiin Fidde? Warum stand nicht einer auf und sagte: Ich kenne doch den Wilhelm seit vierzehn Jahren, der ist nicht so!
    Wenn er seine Kollegen Revue passieren ließ, wieviele waren schärfer als er! Mancher war ihm bekannt, der beim Verhör kleine, offiziell nicht erlaubte Druckmittel anwandte, ein Geständnis zu erzielen. Die gingen umher und strahlten in ihrem gewaltigen Glanz, und die Bauern lachten noch, wenn sie erfuhren, wie so einer ein Knechtlein im stillen Stall in die Ecke gekriegt und ihm so lange auf die Zehen getreten hatte, bis ihm der gestohlene Sack Hafer aus dem Maule fiel.
    Ja, war es denn wirklich nur wegen des Jungen, des Ernst – ? Sollte er jetzt plötzlich dafür bestraft werden, nachdem sich vierzehn Jahre lang kein Mensch darum gekümmert hatte. Ein Kreuz neben ihm, wahrhaftig, ob es der Vater leben ließ – so was sagte so was –, aber auch ein Kreuz neben dem toten schwarzen Martin, was nicht dessen Kreuz bedeutete. Nein, wenn es sein Kreuz bedeuten sollte: er fühlte sich noch ziemlich frisch. Auch ohne Uniform.
    Der einsame Mann auf der Gartenbank steht auf und geht hin und her. Es ist dunkel, es muß also nach neun geworden sein. Erst gegen elf wird es wieder hell. Es ist zunehmender Mond, zweites Viertel. Er überlegt das alles, warum, weiß er eigentlich nicht recht. Vielleicht, damit er weiß, daß die drinnen in der Stube nun schlafen. Aber in Wirklichkeit denkt er darüber nach, daß der Superintendent heute den ganzen Tag wieder nicht in seinem Garten gewesen ist, vielleicht kann er eine Abhaltung gehabt haben, aber er kann ihn auch gemieden |201| haben. Am liebsten ginge er jetzt hinauf zu Marder, spräche sich mit ihm aus, aber er hat etwas anderes vor.
    Er steigt leise über die Verandatreppe hoch, geht

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