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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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hast, verstanden?
    Der Gemeindevorsteher hat gut reden und bitten, er redet mit einer Wand. Der Gendarm schickt einen seiner Jungen zu Reese, nach zehn Zigarren und einem Topf Essen. Und als das Essen kommt, und der Schulze quatscht noch immer, fragt er den höhnisch, ob er ihn etwa zum Essen einladen darf? Vielleicht ist bei ihm wegen der eiligen Erntearbeit auch nicht gekocht worden?
    Da geht der Schulze. Und der Gendarm Wilhelm sitzt weiter grübelnd da mit seinen sieben Zwetschgen. Jetzt ist ihm ein bißchen mehr verbrannt als Haus und Gerät.
    Es ist nachmittags gegen fünf geworden, als der Superintendent Marder über den Graben sagt: Die große Stube im Parterre bei mir können Sie haben, Herr Wilhelm. Und was Sie sonst etwa brauchen, gibt Ihnen meine Haushälterin. Aber – wenn ich einmal merke, daß Sie in meinem Haus Ihren Ernst schlagen, sind Sie draußen!
    Wieder sitzt der Landgendarm Wilhelm da. Er sitzt noch eine lange Weile da, ehe er sich entschließt, in die Superintendantur einzuziehen, trotzdem gegen solch Quartier wirklich nichts zu sagen wäre. Aber nun weiß er Bescheid, der kleine Marder hat’s ihm deutlich genug gesagt, weil er seinen Ernst mal schlägt, darum sind sie plötzlich alle böse mit ihm.
    Der Ernst, sein Ältester, ist nämlich blöde. Und einen Ast hat er noch dazu. Die können’s ja nicht verstehen, was das heißt für einen, der zwölf Jahre beim Militär war und der immer noch ein strammer, hübscher Kerl ist, ein Kind zu besitzen, das so schief ist, daß es nicht einmal dienen kann beim Militär, das so blöd ist, daß es nie seinen eigenen Namen wird lesen können. Was das heißt für einen Mann, der sich jeden Tag von oben bis unten kalt abwäscht, einen achtzehnjährigen Jungen zu haben, der im Bett noch immer unter sich macht, die ganze Wohnung verstänkert – davon haben die Holztöffel keinen Schimmer. Daß das wie eine Wunde |193| ist, die sich nie schließt, eine schmerzende Stelle, an die man jeden Tag wieder neu stößt.
    Ernst nicht schlagen – jawohl, diese rohen Bauernbiester, in all diesen Jahren haben sie ihm nie ein Wort der Mißbilligung gesagt, nie auch nur angedeutet, daß sie von seiner Schande und von seinem Grimm über die Schande etwas wissen. Aber nun, wo dieser dreizehnmal ausgekochte Verbrecher, der längst im Zuchthaus zu Naugard Wolle spinnen sollte, ihm das Dach über dem Kopf angesteckt hat, jetzt schnappen sie nach ihm, die Hunde?! Jetzt kriechen sie aus ihren Löchern und wollen ihn nicht mehr bei sich, den sie seit vierzehn Jahren an ihrem Biertisch gehabt haben? Nun, sie sollen schon sehen, sie werden schon was erleben!
    Er hat keine Ruhe auf dem schönen Zimmer in der Superintendantur, er hängt den neuen Karabiner über und geht los. Er geht so ein bißchen für sich, erst den Weg nach Dreege runter, dann biegt er ab durch das Korn nach Fabiansruh. Er ist nicht ruhig, wenn er da auch ruhig und gewissermaßen gemütlich geht. Er ist wie ein Mann, der starke Zahnschmerzen hatte und ihm ist ein Zahn gezogen worden. Aber die Erleichterung bleibt aus: ihm ist der falsche gezogen, und er sucht jetzt nach dem richtigen, in dem der Schmerz sitzt. Er findet ihn nicht, es scheint überall und nirgends zu sein. Es ist keinesfalls in Ordnung, was er sich da ausgedacht hat, es kann keinesfalls nur deswegen sein, weil ihm sein Haus abgebrannt ist. So dumm sind die Bauern nicht, sie wissen ganz gut, in einem Vierteljahr hat der Staat ihm ein neues gebaut, und er sitzt wieder da in alter Macht und Herrlichkeit. Wenn sie jetzt so frech mit ihm anzubinden wagen, so darum, weil sie sicher glauben, er wird nie wieder in ein neues Gendarmenhaus ziehen, weil sie ihn für einen abgetanen Mann halten, für einen toten Mann. Ja so, für einen toten Mann. Einen toten Mann.
    Der Gendarm Wilhelm ist ungefähr hier mit seinen Überlegungen, da begegnet ihm auf dem schmalen Steig, zwischen dem reifen Roggen, eine Frau. Es ist die alte Machulke, die |194| Kaffeesatzprophetin, zu der er heute mittag Wand an Wand ziehen sollte. Sie trägt eine Kiepe auf dem Rücken, und weil der Gendarm Wilhelm jetzt nicht nur ein sorgengeplagter Mann ist, sondern darum doch ein Landgendarm bleibt, so sagt er zu der Alten: Nimm mal die Kiepe runter, Machulken, und zeig, was du drin hast.
    Das Theater und das Gerede von dem bißchen Ziegenfutter, das kennt er. Das geht ihm zu einem Ohr herein und zum andern hinaus. Da hört er gar nicht erst hin. Und als sie gar zu sehr spektakelt,

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