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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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aber er steht doch auf und steigt über den Burgwall. Du hast es sehr eilig, tot zu sein. Es gefällt dir nicht mehr in deiner blanken Haut, was? Keine Freude mehr, wie?
    Wilhelm hat sich das so einfach gedacht, Pistole hoch und los. Aber all das geht nicht mehr, fühlt er. Also los, sagt er.
    Na schön, sagt der Bullenberger, paß auf. Wir stellen uns beide unten ans Wasser, zehn Schritte Abstand. Ich zähle bis drei, und wir schießen gleichzeitig. – Ich müßte wohl eigentlich auch eine Pistole nehmen, sagt er nachdenklich. Aber du sollst mit deinem eigenen Karabiner aus der Welt.
    Ich habe den schwarzen Martin nicht erschossen, sagt Wilhelm hartnäckig.
    Der Bullenberger antwortet nicht, sondern geht voraus, zum Wasser hinunter. Da stell dich hin, sagt er.
    Nun fängt er an, den Abstand zu zählen: Eins, zwei, drei, vier … Dann baut er sich auf. Sie stehen sehr nahe beieinander. Trotz der Dunkelheit kann Wilhelm die schwere, massige Gestalt des Bullenbergers deutlich sehen. Er hebt langsam die Pistole. Dabei merkt er, daß seine Hand zittert.
    Ich bin ja aufgeregt, denkt er. Was für ein verrücktes Zeug! Darf ich denn so etwas überhaupt machen? Ich bin ja erledigt, wenn die morgen feststellen, wie ich ihn aus dem Leben gebracht habe. Einfach losdrücken. Bei Verbrechern gibt es keine Treue.
    Aber er drückt nicht los. Er horcht auf die Wellen, die ganz leise plätschern, den Strand hinauflaufen, er sieht nach der Düne, über der es vom hochkommenden Mond licht wird.
    Warum zählen Sie nicht, ruft er ärgerlich, es ist gleich hell, und die Leute kommen.
    |211| Der antwortet nicht.
    Plötzlich muß Wilhelm an das Gesicht seines Jungen im Bett denken, wie es sich in schrecklicher Angst vor dem Vater verzog – und er späht nach dem Gesicht drüben.
    Ich habe den schwarzen Martin nicht erschossen, sagt er noch einmal.
    Keine Antwort.
    Das ist so mit der regungslosen Gestalt da drüben, daß sie sich manchmal in das Nachtdunkel aufzulösen scheint. Wilhelm glotzt und glotzt, nichts – und dann ist sie wieder da.
    Zählen Sie doch los, Bullenberger, schreit er laut.
    Keine Antwort.
    Die Gestalt steht da, ist fort, ist wieder da. Er läßt verzweifelt den Arm sinken, er ist in Versuchung, hinüberzulaufen und den Bullenberger an den Schultern zu schütteln, ob er auch wirklich ist.
    Zählen Sie! schreit er noch einmal.
    Nichts – nur die kleinen Wellen und die Scheibe des fast vollen Mondes, die sich über den Dünenrand hebt. Plötzlich erklingen aus nächster Nähe, aus dem Garten einer Villa wohl, Stimmen von Sommergästen. Er hört ein Mädchen lachen. Ach, die guten, warmen Bauernmädchen im Stall, oder auf der Heuwiese, oder im Roggen … Eine unaussprechliche Sehnsucht nach dem Leben schüttelt ihn, nach festem Fleisch, nach warmem Brot, nach den frisch betauten, krachenden Äpfeln, die man auf dem Wege von einem Baume pflückt.
    Er erhob rasch die Pistole und drückte los.
    Der Knall, trocken und überraschend leise, erschreckte ihn.
    Warum haben Sie nicht gezählt! wollte er rufen.
    Da klingt es von drüben: Vorbei! Er erhält einen sanften Schlag gegen die Brust, plötzlich sind seine Knie weich, er möchte die Pistole hochbringen, und seine Finger spreizen sich und lassen sie fallen, sanft sinkt er rückwärts auf den Sand.
    |212| Der Bullenberger, der sich über ihn beugt, sieht, es ist gleich vorbei. Jetzt ist der Mond hoch genug, daß er das wachsgelbe Gesicht erkennen kann, den haltlos schlaffen Unterkiefer, die Augen, die das Weiße hervorzudrehen beginnen.
    Hast doch zuerst geschossen, Lump, sagt er.
    Der Sterbende tut einen gewaltigen Atemzug, auf dem Wege fort von dieser blühenden Erde hat die kratzige böse Stimme ihn erreicht. Er sagt mühsam und sieht den Feind stark an: Ich habe den schwarzen Martin nicht erschossen.
    Der sich über ihn beugt, schüttelt abweisend den Kopf.
    Nein, sagt der Sterbende.
    Hast ihn erschossen, hast jetzt auch zu früh geschossen, Kinderquäler, sagt der Bullenberger.
    Der will noch etwas sagen, er richtet sich halb auf, er sieht flehend den Feind an, seine Lippen probieren den Laut, aber da kommt der große, ekelhaft laue, erstickende Strom Blut, und er sinkt zurück, ohne die letzte Beteuerung, der doch niemand glaubt, gesprochen zu haben.
    Der Bullenberger wirft den Karabiner über die Schulter. Gegen die andere, in die ihn die Kugel des Gendarmen traf, drückt er die Hand und geht gegen die Dünen zu. Plötzlich sieht er sich auf drei Meter Entfernung

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