Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Mondaufgang.
    Wir müssen fertig sein, ehe der Mond hoch ist, überlegt Wilhelm. Nachher wimmelt alles von diesen Fatzken in Flanellhosen mit ihren Mädchen.
    Er geht hastiger. Bis zum Mondaufgang ist höchstens |208| noch eine Viertelstunde, überzeugt er sich auf seiner Uhr mit einem Streichholz. Bis der Mond hinter den Bäumen richtig hoch ist, kann es noch zwanzig Minuten dauern. Immerhin, die Zeit ist knapp.
    Er biegt zwischen »Immergrün« und »Seeblick« in einen Dünenweg ein, überschreitet den sehr schmalen Dünengürtel und geht durch den hellen Sand, so rasch es sich nur machen läßt, abwärts zum Strand. Er muß sich etwas links halten, die Stelle muß etwas links gewesen sein. Trotz seiner Aufregung – er fühlt, daß er aufgeregt ist, aber seine Aufregung kommt allein aus der Furcht, daß der Bullenberger nicht rechtzeitig da sein könnte –, trotz seiner Aufregung muß er grinsen. Die Badeverwaltung hat sich nicht damit begnügt, den blutgetränkten Sand fortschaffen zu lassen (Wo sie nur damit abgeblieben sind? Na, sicher untergebuddelt!), nein, sie hat gerade diesen Strandteil mit einem ganzen Aufmarsch von Strandkörben versehen, Dutzende von Fahnenstangen aufgestellt. Wilhelm hat schon davon gehört, daß das ganze Dorf Fabiansruh eine Nacht hat durcharbeiten müssen, um diesem Strandabschnitt ein recht fröhliches Aussehen zu verleihen. Nun, morgen früh werden die nicht sehr zufrieden sein, wenn sie die neue Bescherung sehen.
    Den Gendarmen irritiert dieser Aufmarsch von Burgen, er findet sich wirklich im Augenblick nicht zurecht. Ein paarmal visiert er zu den Dünen hinüber. Die Kommission hat damals ausgemacht, daß der Mörder hinter einer kleinen Kieferngruppe versteckt gestanden haben muß, aber es ist zu dunkel, er kann diese Kieferngruppe nicht sehen. Er muß warten, bis es heller geworden ist, die Luft wird jetzt schon ein ganz wenig sichtiger, aber wenn es heller geworden ist, ist es auch zu spät. Zwei oder drei Minuten läuft er ziellos und ärgerlich zwischen den Sandburgen herum, dann setzt er sich auf einen Wall. Wenn der kommt, merkt er es schon, und wenn er nicht kommt …
    Ja, da sitzen Sie richtig, sagt eine kratzige, rauhe Stimme.
    Der Gendarm Wilhelm springt mit einem Satz auf und |209| starrt in den dunklen Strandkorb. Jemand sitzt drin. Irgendwie überkommt den Gendarmen nach all der Spannung der letzten Stunde das verrückte Gefühl, es sei das gar nicht der Bullenberger, der da sitzt. Irgendein Badegast vielmehr, der ironisch gegen die Beschädigung seiner Burg protestieren will.
    Sind Sie das? fragt er atemlos.
    Ich
schieße nicht von hinten, sagt die tiefe Stimme wieder, ich hätte Sie schon abknallen können, wie Sie vorhin auf der Straße Ihre Uhr anleuchteten. Aber
ich
schieße nicht von hinten.
    Ich auch nicht, sagt Wilhelm wütend und reißt an der Pistole, die im Taschenfutter festsitzt. Er hat sich das so vorgestellt: Hinhalten und los. Aber alles, was wahr sein muß, der hätte ihn schon zehnmal abknallen können.
    Er hat jetzt die Pistole frei und hält sie unschlüssig in der Hand.
    Den schwarzen Martin haben Sie jedenfalls von hinten abgeschossen, sagt der Bullenberger.
    Glauben Sie auch diesen Blödsinn, Mann, ruft Wilhelm. Den hätte ich jederzeit abschießen können, ganz öffentlich, und erklären können, er hat Streit mit mir angefangen, er hat sich seiner Verhaftung widersetzt, er hat mich bedroht. Das habe ich wahrhaftig nicht nötig, ihn von hinten auf dreihundert Meter abzuknallen.
    Der Bullenberger schweigt eine Weile. Ist das so? fragt er sich halblaut. Dann kann es nur ein Zöllner gewesen sein.
    Wer es gewesen ist, will ich gar nicht wissen, ruft Wilhelm. Ich war’s nicht.
    Der Bullenberger schweigt wieder. Plötzlich aber sagt er: Nein, wer Kinder quält, ist auch feige, und wer feige ist, schießt von hinten. Du bist es gewesen und kein anderer.
    In Wilhelm kommt eine Welle von Wut und Trauer hoch. Aber er bezwingt sich. Und daß ich hierhergekommen bin, ist das etwa auch feige? Ich bin gar nicht mehr im Dienst. Ich hätte fein zu Haus bleiben können.
    |210| Eben weil du nicht mehr im Dienst bist, darum mußt du Mut haben. Daß du wieder in den Dienst kommst.
    Der Gendarm überlegt fieberhaft. Aber dann sagt er etwas ganz andres, etwas, an das er eben noch nicht gedacht hat: Wir müssen schnell machen, sagt er, der Mond ist gleich hoch und die Gäste kommen an den Strand.
    Was gehen mich die Gäste an? fragt der Bullenberger brummig,

Weitere Kostenlose Bücher