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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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einer Gruppe von Badegästen gegenüber, die ihn bleich anstarren. Guten Abend, sagt er gedankenlos. Dann besinnt er sich. Er sagt: Nichts mehr zu machen. Schon tot.
    Und geht zwischen den Gästen durch, den Dünenweg hinauf. Ihn schwindelt etwas. Dann hört er, als er zwischen »Immergrün« und »Seeblick« ist, eine Stimme schrill jammern. Ach die! sagt er ärgerlich, überquert die Chaussee und taucht auf der andern Seite in den Wald.
    Die Leiche des Gendarmen war sofort gefunden worden, und sofort kam die Insel in Aufruhr. Verschlafene Postagenturen und öffentliche Fernsprechstellen über ganz Fiddichow hin wurden wachgeklingelt, Boten durch alle Dörfer geschickt, alle Fischer zu ihren Kähnen beordert.
    Der Mörder ist noch auf der Insel, er muß sofort gefaßt |213| werden, ehe er fliehen kann. Morgen, haben sie ihn bis morgen noch nicht, werden sie alle Getreidefelder abstreifen, alle Kiefernschonungen durchdrücken, die ganze Halbinsel wird auf den Beinen sein. Vor allen Häusern stehen die Leute die Nacht hindurch und sehen auf die mondbeglänzten Wege, ob der Mörder gegangen kommt. Die wildgewordenen Hunde heulen ein nie endendes, klagendes Gebell zum Himmel. Neben jedem Kahn steht sein Schiffer und hält Wacht.
    Wie die Nacht vorrückt, kommt das Auto der Mordkommission tutend und jagend von Bergen in Fabiansruh an, vollgepackt mit Juristen, auf den Trittbrettern stehen Gendarmen. Und mehr und mehr Gendarmen kommen auf allen Wegen, auf ihren Fahrrädern oder zu Fuß, mit bestaubten Schuhen und Gamaschen.
    Langsam wird der Mond blaß, und die frühe Sonne steigt strahlend über den Horizont. In Kirchdorf hängt der Landrat mit seinen beiden Sekretären an den Telefonen des Orts, die ganze Halbinsel wird in Kessel eingeteilt, und es ist kaum sieben, so marschieren die Dörfer aus, die Schützen mit Flinten, die Treiber mit Knarren, die Hunde jaulend an den Riemen zerrend, als gehe es zur winterlichen Hasenjagd.
    Treibjagd auf Fiddichow! Treibjagd auf Fiddichow!
    Dem Bäcker Lenz aus Riek jagt ein unvorsichtiger Schütze eine Ladung Schrot ins Gesicht. Er verliert das Augenlicht. Den Bullenberghof fassen, keiner weiß wieso, Flammen, und der Brand greift in die trockene Kiefernschonung über. Es dauert viele Stunden, bis man dreißig, vierzig Mann zusammen hat, um das Feuer einzudämmen.
    Am Abend geht alles müde und verärgert nach Haus. Keine Spur, nicht einmal eine Spur. Am nächsten Tag suchen nur noch die Gendarmen. Am dritten Tag fährt die Mordkommission wieder nach Bergen zurück, und allmählich, in den Tagen und Wochen, die folgen, klingt die Erregung ab. Der Bullenberger ist nicht mehr auf der Insel. Nie wieder wird er sich dort sehen lassen. An die preußische Gesandtschaft in Finnland schreibt die Regierung Briefe.
    |214| In jener Nacht, der großen Menschentreibjagd auf Fiddichow, war auch bei den Gäntschows gegen das Fenster geklopft worden von einem Nachbarn. Oben die Kinder in der Dachstube waren davon wach geworden und hatten dem aufgeregten Gerede des Nachbars gelauscht.
    Hör zu, Malte, dein Bullenberger …
    Wieso mein Bullenberger? ruft Hannes oben aus dem Fenster dazwischen. Bullenberger ist mir »ignotus«.
    So was macht er jetzt gern, der Johannes, nicht aus Bildungsprotzerei, sondern um Ruhe vor seiner Familie zu haben, um sie alle abzuschrecken, um sein Privatleben führen zu können. Sagte es so hin »ignotus«, als müßte es jeder verstehen. Ach so, natürlich, sagten die andern betreten.
    Wie der Sohn, so der Vater. Vielleicht dachte der Malte Gäntschow an eine Eisscholle vor fünf Jahren, aber er drückte es so aus: Was gehen mich die Verbrecher an, Nachbar?! Laß die Gendarmen doch aufpassen. Mich dünkt, dafür bezahlen wir unsere Steuern. – Ach was, guten Abend.
    Und das Fenster schrammt zu. Stille im Bauernhof, nächtliche Stille über dem Land.
    Es mag etwa eine Stunde vergangen sein, da schleicht ein Junge leise die Treppe hinunter, auf dem Hofe erst zieht er die Schuhe an. Einen Augenblick steht er auswählend bei der Hundemeute, die sich leise winselnd um ihn drängt. Dann sagt er: Na komm, Perle, und knotet die Freudeblaffende an einen Bindfaden. Stille bist du. Ganz stille.
    Aber ein Fenster ist schon gegangen, und des Vaters Stimme fragt halblaut: Bist du das, Hannes?
    Ja, sagt der Junge leise und steht stocksteif.
    Der Vater sagt nichts, aber das Fenster geht auch nicht wieder zu. Der Mond ist hell auf dem Hof, und der Junge steht regungslos da.
    Mit dem

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