Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
sie vollkommen freudlos. Stopfen sich voll , um die Leere ihres belanglosen Lebens zu übertünchen. Fette Gänse , Herrencreme , Eisbombe , Kuchen , Plätzchen , Schokolade , nur das Beste und Teuerste von allem , bis es ihnen an den Ohren wieder herauskommt. Am liebsten würden sie sich zwischendurch mit einer Feder im Hals kitzeln wie die Römer , damit sie kotzen und früher weiterfressen können …«
»Bei uns gab es an Heiligabend Kartoffelsalat mit Würstchen. Gut – am ersten Feiertag hatten wir auch eine Gans. Die gehört halt irgendwie dazu.«
»Statt daß man zur Ruhe kommt , sich besinnt , nichts als sinnlose Ablenkung. Der Fernseher läuft den ganzen Tag , und wenn er nicht läuft , dudelt Weihnachtsmusik. › Gemütlich ‹ – nennt meine Mutter das. Für mich ist das komplett verlogen. Ich meine , immerhin geht es um die Geburt Jesu , der auf die Erde kommt , um für unsere Schuld am Kreuz zu sterben: Also weil wir so schlecht sind , daß der beste Mensch , der je gelebt hat , getötet werden muß , um uns zu retten – nur deshalb wird Er einer von uns. Doch es wird so getan , als ob es das Friedefreudeeierkuchen-Fest des Jahres wäre. Von der eigentlichen Botschaft des Evangeliums ist nichts mehr zu finden vor lauter Lametta , Glitzersternchen… Niemand schaut sich an , wie das wirklich damals abgelaufen ist , vor zweitausend Jahren – und ob es vielleicht etwas mit uns zu tun haben könnte. Ich meine , Tatsache ist , daß die Spießer von Bethlehem eine hochschwangere Frau und ihren Mann , die nirgends Platz zum Schlafen hatten , einfach davongejagt haben. Keiner von den braven Bürgern ist auf die Idee gekommen , ihnen ein Bett oder ein Zimmer anzubieten. – Und? Würde da heutzutage irgend etwas anders laufen?«
Er wirft einen Seitenblick auf Ulla , um zu sehen , wie sie reagiert , fährt fort: »In den Herbstferien hat eine schwangere Zigeunerin bei uns geklingelt … Weißt du , was meine Mutter gesagt hat? – › Das mit der Schwangerschaft ist bestimmt ein Trick , damit wir sie hereinlassen und sie in Ruhe auskundschaften kann , ob bei uns was zu holen ist. ‹ «
Er hat die Szene aus verschiedenen Situationen zusammengesetzt , aber sie hätte sich genau so zugetragen haben können.
»Das stimmt: Zur Zeit sind viele professionelle Diebesbanden unterwegs« , sagt Ulla. »Bei uns in der Nachbarschaft wurde neulich auch eingebrochen. Deswegen muß man sie nicht hungrig wegschicken , aber vorsichtig kann man schon sein.«
» Verkaufe alles , was du hast , gib das Geld den Armen und folge mir nach , heißt es im Evangelium. Das ist der Kern des Christentums. Interessiert bloß niemanden. Im Gegenteil: Wir haben eine Partei , die sich mit einem großen C schmückt und gleichzeitig dafür sorgen will , daß in den Städten kein Bettler mehr das Straßenbild verschandelt , statt daß wir von unserem Überfluß abgeben , Landstreichern , Obdachlosen – es ist ja nicht so , daß die Armut bei uns abgeschafft wäre. Doch wir schmeißen lieber noch mehr Geld für noch mehr nutzlosen Kram zum Fenster raus: Berge von Schrott werden gekauft , in Unmengen von Papier verpackt , mit Plastikfolie umwickelt und getauscht , du eins , ich eins , genau abgemessen , daß bloß keiner denkt , er hätte mehr gegeben als er bekommen hat. «
»Daß man sich an so einem Tag gegenseitig eine Freude macht , ist doch eigentlich nichts Böses. Oder findest du Geschenke insgesamt schlecht? – Ich war so glücklich , daß ich …«
»Für sich genommen , wäre das vielleicht sogar in Ordnung … Wenn man es isoliert betrachtet. Das funktioniert aber nicht. Wenn wir so weitermachen , wird die Erde bald komplett unbewohnbar sein , und zwar wegen Bergen von absolut nutzlosem Plunder.«
»Du hast auch viele Sachen , die man nicht unbedingt zum Leben braucht: Schallplatten , teure Bücher , deine Fische.«
»Das stimmt.«
»Nicht daß ich das schlimm finde …«
»Glaub mir , ich denke jeden Tag darüber nach , ob es nicht höchste Zeit für einen radikalen Schnitt wäre. Daß ich tatsächlich alles , was überflüssig ist , verkaufe und das Geld an eine Hilfsorganisation spende. Stereoanlage und Plattensammlung zum Beispiel. – Mit den Fischen ist es etwas anderes.«
»Die Musik bedeutet dir aber doch so viel.«
»Sie lenkt vom Wesentlichen ab.«
»Und was ist das Wesentliche?«
Ulla steht vor ihm , legt ihm die Arme um den Hals: »Du machst dir immer so viele Gedanken. Manchmal kommt es mir vor , als ob
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