Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
Vom Netzwerk:
liegt.
    Er reißt sich los. Schluckt , drückt den Kloß beiseite.
    Die Zeit , die wir zusammen gewesen sind , wird für mich bis ans Ende
    Für Ulla war sie etwas anderes als für ihn , sonst hätte sie jedem gesagt , ganz gleich , was dann geschehen wäre: › Das ist Carl , mein Freund und Geliebter , für jetzt und immer. ‹
    Er streicht den Satz durch.
    Damals hatte ich das Gefühl , daß mein Leben an dem Tag , an dem Du darin aufgetaucht bist , neu begonnen hat. Endlich war es so , wie ich immer gedacht hatte , daß es sein soll. Obwohl wir meistens gefroren haben und im Regen standen und die Zeit jedesmal schneller vergangen ist. Ich kann mir nicht vorstellen , daß ich jemals mit jemand anderem wieder so tief verbunden sein werde wie mit Dir. Das geht schon deshalb nicht , weil ich keinem Menschen mehr mit diesem bedingungslosen – wie Jakobus sagt: › naiven ‹ – Vertrauen gegenübertreten werde.
    Er merkt , wie sich eine Spur Grausamkeit , vielleicht sogar Rachsucht einschleicht. Eine Verhärtung der Brust , wie vor Wutanfällen , die in Schlägereien münden. Er hört ihre Stimme , sie sagt , › Christian. Das ist der Pfleger , von dem ich dir erzählt hatte ‹ , als wäre es das Normalste von der Welt.
    Diese Naivität ist vor fünf Monaten gestorben. Ich weiß nicht , ob ich ihr nachtrauere oder froh bin , daß sie weg ist , denn seitdem habe ich einen realistischeren Blick auf das Leben. Bestimmte Enttäuschungen werden mir künftig erspart bleiben.
    Natürlich habe ich in den Wochen , seit Du Dich wieder gemeldet hast , ständig über uns nachgedacht und mir die Frage gestellt , ob wir eine Zukunft haben und wie sie aussehen könnte?
    Versteh mich nicht falsch , ich mag Dich immer noch. Aber als Du mir damals gesagt hast , daß Du lieber mit jemand anderem zusammen sein möchtest , ist etwas in mir zerbrochen. Anfangs dachte ich sogar , ich selbst als Person würde zerbrechen , aber zum Glück hatte ich Freunde , die mir zur Seite standen. Obwohl ich im ersten Augenblick überglücklich war , als ich Deinen Brief in Händen hielt , ist mein Gefühl für Dich noch immer ein Scherbenhaufen , und ich weiß nicht , was ich noch versuchen könnte , um es wieder zusammenzusetzen.
    Er liest , was er geschrieben hat , hält inne. Zweifelt einen Moment , ob er seinen eigenen Sätzen glaubt , ob es nicht doch bloß gekränkte Eitelkeit ist , die ihn zu diesem Schritt treibt – verstärkt durch das ganz allmählich wirkende Gift von Kuffels Frage , ob er Ulla wirklich jemals wieder wird anschauen oder berühren können , ohne all die anderen vor Augen zu haben , die sie angeschaut und berührt haben.
    Zorn schiebt den Zweifel weg , legt sich über den Schmerz , die Wehrlosigkeit. – Sie soll aus seinem Brief nicht spüren , wie wehrlos er war und ist.
    Auch die Frage , ob ich nicht doch zum Priester berufen bin , habe ich mir noch einmal neu gestellt. Zwar ist mir bis jetzt keine Antwort zuteil geworden , aber ausschließen kann ich es weniger denn je.
    Darf man etwas so Heiliges wie die Berufung zum Priester als Grund vorschieben , mit einer Geliebten zu brechen , selbst wenn man zu fünfundneunzig Prozent sicher ist , daß einem nichts dergleichen bevorsteht?
    Ich bete täglich um Klarheit , und womöglich werde ich schon bald wissen , daß ich um der Liebe zum Herrn willen auf die Liebe einer Frau – Deine Liebe – verzichten muß. Ich kann mir kaum etwas Schrecklicheres vorstellen , als daß die erste Konsequenz , die der Ruf Gottes nach sich zöge , mein Abschied von Dir wäre und das Leid , das ich Dir dann zufügen müßte.
    Es ist ungehörig , vielleicht sogar lästerlich. Andererseits mildert er damit die Härte des Schlags , den sein Brief ihr versetzt: Er entscheidet sich nicht gegen sie , sondern für Gott: eine Notlüge , die er als Sünde auf die eigene Kappe nimmt , um ihren Schmerz zu verringern.
    Weil ich nicht glaube , daß eine rein freundschaftliche Beziehung zwischen uns nach dem noch möglich ist , was schon war , bin ich für mich zu dem Schluß gekommen , daß es vielleicht
    Er streicht das »vielleicht«.
    besser ist , wenn wir uns erst einmal gar nicht mehr sehen.
    Alles andere würde jeden von uns in immer neue Verzweiflung stürzen.
    Ich hoffe , Du verstehst zumindest ein wenig die Gründe , die mich zu diesem Entschluß gebracht haben , auch wenn Du es vielleicht anders siehst oder Dir anders gewünscht hättest.
    Leb wohl!
    Carl
    Er faltet den Brief zusammen ,

Weitere Kostenlose Bücher