Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
immer nur vor dem Allerheiligsten in der Beterkapelle.
Carl wüßte gerne , ob für die Bestatter ein Unterschied zu gewöhnlichen Menschen spürbar gewesen ist , als sie ihn gewaschen und angekleidet haben. Manche Heilige , wie Hildegard oder Pater Pio , sollen noch als Tote einen besonderen Duft verströmt haben.
Wieder das Bild , wie der Schweizer Gerichtsmediziner auf Anweisung eines schmallippigen Inspektors oder Richters die Hämatome an dem nackten Leichnam untersucht , nichts Verdächtiges findet , trotzdem das Skalpell ansetzt , ins tote Fleisch schneidet , es auffaltet , um die Vorschriften zu erfüllen.
»Nun läßt Du Herr , Deinen Knecht ,
Wie Du gesagt hast , in Frieden scheiden.«
Die Schola klingt dünn , wichtige Stimmen fehlen , Eging zum Beispiel.
»Denn meine Augen haben das Heil gesehen ,
das Du vor allen Völkern verbreitet hast ,
ein Licht , das die Heiden erleuchtet ,
und Herrlichkeit für Dein Volk Israel .«
Carl sieht Andrea bei den Schwestern und Küchenmädchen , schaut weg , um ihren Blick nicht zu treffen. Er hatte gefürchtet und gehofft , daß Ulla ihren Dienst doch in letzter Minute tauschen und mitfahren könnte. Dann hätte es eine direkte Begegnung zwischen ihr , Kuffel und Holzkamp gegeben , mit offenem Ausgang. Alle drei wissen Dinge voneinander , die er ihnen zu einem Zeitpunkt verraten hat , als er sicher davon ausging , daß sie nie zusammentreffen würden.
»Die Maxius benimmt sich , als ob sie seine Witwe wäre« , knurrt Kuffel.
Holzkamp reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen aus , wie er es tut , wenn er zeigen will , daß er konzentriert denkt. Raunt: »Sie ist fleißig dabei , sich in Münster als Roghmanns rechte Hand und geistige Erbin aufzuspielen , die als einzige weiß , wie er sich die Fortführung seines Lebenswerks vorgestellt hat. Deshalb muß sie bei der Bestellung des Nachfolgers natürlich unbedingt gehört werden.«
»Widerlich.«
»Angeblich erzählt sie sogar – unter dem Siegel höchster Verschwiegenheit , damit es auf jeden Fall weitergetratscht wird – , daß Roghmann ihr unmittelbar nach seinem Absturz erschienen ist.«
»Du machst dich lustig.«
»Sie war wohl bei Verwandten auf dem Hof und hat Kartoffeln fürs Mittagessen geschält. Das käme sogar hin. Soweit ich weiß , ist er gegen halb elf abgestürzt. Da schält die aufrechte Bauersfrau Kartoffeln. Und genau zu dem Zeitpunkt , behauptet sie jedenfalls , hat sie eine Art Vision von Roghmann gehabt. In welcher Form und Gestalt auch immer. Sie ist daraufhin gleich zu ihrer Cousine und hat ihr gesagt , daß etwas mit dem Präses nicht stimmt , sie sei sich ganz sicher. Fünf Stunden später sei der Anruf von Lohfing gekommen. Die Cousine bezeugt es angeblich.«
»Daß sie Kartoffeln geschält haben will , beweist doch eindeutig , daß es gelogen ist.«
»Und wer sagt das?«
»Das kann ich unmöglich verraten. Quellenschutz. Sonst riskiere ich meine Vertrauenswürdigkeit und erfahre nichts mehr. Das geht aber noch viel weiter: Die Maxius hat sogar schon Unterstützer im Pfarrer-von-Ars-Kreis gefunden , die gezielt zu Roghmann beten , für krebskranke Verwandte oder gegen die Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche in ihrem Bezirk , in der Hoffnung , daß er ihnen vielleicht das eine oder andere Wunder beschert , mit dem sie dann nach Rom ziehen können , um ein Seligsprechungsverfahren anzuleiern.«
Kuffel schüttelt den Kopf.
»Nicht zu fassen.«
Beinahe Stille , trotz der vielen Leute. Nur das leise Knirschen von Schuhen auf dem Kiesweg , der den Kreuzgarten in zwei Hälften teilt.
Die Maxius ist tatsächlich die erste nach Roghmanns Schwester und deren Familie , die eine Schaufel Erde auf den Sarg wirft. Dazu einen Strauß weißer Rosen. Dann stellt sie sich zu den Verwandten. Offenbar erwartet sie allen Ernstes , daß man auch ihr kondoliert.
»Eine Frechheit« , zischt Kuffel.
»Vor allem , was wirft das für ein Licht auf Roghmann? Leute , die ihn vielleicht nicht so gut kennen , denken am Ende , es hätte eine wie auch immer geartete Beziehung jenseits des Gebotenen zwischen ihnen gegeben.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Je größer der Baum , desto mehr Hunde wollen daran pinkeln.«
»Trotzdem.«
Sie reihen sich in die Schlange der Trauernden , bewegen sich unendlich langsam auf das Grab zu. Im Zehn- oder Fünfzehnsekundentakt das Geräusch von Erde , die auf Holz trifft , auf Kunstrasenmatten rieselt. Es klingt jedesmal ein wenig anders.
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