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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Sankt Raban einzuladen , in ein nettes Restaurant zu Raclette oder Käsefondue , hat er mit Stefan Kriens , Tante Schweick und Heinz-Bernd Zimmer den Bergführer Leo Brantschen gebucht. Sie sind eine weitere Nacht auf der Hütte geblieben , und wenn nichts Dramatisches dazwischengekommen ist , stehen sie jetzt in diesem Moment auf dem dritthöchsten Gipfel der Alpen , in 4698 Metern Höhe , und schauen in die Ferne bis hinunter bis zum Mittelmeer.
    Sie war enttäuscht , als er es ihr gesagt hat , gab sich aber Mühe , es weder Rasche noch sonstjemanden merken zu lassen. Carl hat es trotzdem gespürt. Später , als Rasche zusammen mit Tante Schweick nach Lenza gegangen war , um Proviant zu kaufen , hat er gefragt , was los ist.
    »Ich weiß es selber nicht« , hat sie gesagt. »Ich bin völlig durcheinander: Manchmal denke ich , Jan macht das extra. Um mich vor den Kopf zu stoßen. Andererseits sage ich mir , so wichtig bin ich ihm gar nicht , daß er sich groß etwas überlegt.«
    In diesem Moment waren sie einander sehr nah , obwohl es um einen anderen ging , um den , von dem sie etwas wollte. Zugleich war Rasche der Grund für ihre Verunsicherung.
    »Wahrscheinlich passen Jan und ich gar nicht zusammen« , sagte sie , »vom Charakter und vom ganzen Werdegang her , aber es gibt eine Anziehung zwischen uns , die ist vielleicht dumm , und ich hab’ keine Ahnung , was daraus wird. Sie ist einfach da , auch von seiner Seite aus.«
    Es ist ihm gelungen , seinen eigenen Schmerz , der ihn fast zerrissen hätte , in den Griff zu bekommen. Er hat seine Reaktion dem Muster verständnisvoller Freund angepaßt , der sie im Notfall in Schutz nehmen würde , sogar gegen ihre Selbstbezichtigungen. »Seid ihr denn richtig zusammen?«
    »Wir könnten zusammen sein. Aber ich weiß nicht , wie weit ich gehen will.«
    »Es muß schlimm sein für dich , daß er sich benimmt , als wäre es ihm egal , wie es dir geht.«
    »Er sagt , daß eine bestimmte Kompromißlosigkeit zu seinem Wesen gehört. Als Musiker und auch sonst. Ich verstehe , daß er manche Sachen einfach tun muß , zum Beispiel auf den Thron steigen. Ich bewundere den Mut und die Kraft , die dazu nötig sind. Aber es tut trotzdem weh , daß ich bei seinen Überlegungen überhaupt keine Rolle spiele. Zumal ich mir Sorgen mache , wenn er sich solchen Gefahren aussetzt. – Dazu hätte ich kein Recht , sagt er.«
    »Es tröstet dich sicher nicht , wenn ich dir sage , daß ich noch keine Pläne für den freien Mittwoch habe , ich könnte dich überraschen mit einem sehr schönen Ziel. Vorausgesetzt , wir kommen alle heil wieder unten an.«
    »Da würde ich mich freuen« , hat sie gesagt und: »Mit dir kann man so gut über diese ganzen Sachen reden.«
    Und jetzt ist er tatsächlich allein mit ihr unterwegs , weit entfernt von der Gregoriushütte , an diesem makellosen Tag , der nicht zu heiß ist und nicht zu kühl. Keiner wird kommen und sie stören. Es geht leicht bergab , sie hüpft voran wie ein Kind , bleibt stehen , dreht sich der Sonne zu. Offensichtlich trauert sie dem verpaßten Ausflug mit Rasche nicht nach. Sie wirkt überhaupt nicht wie jemand , der an etwas leidet. Sie ist hier mit ihm. Kein Gedanke an Rasche. Ihre Sorgen sind weg , obwohl sie berechtigt wären. Die Route zum Thron ist zwar nirgends so schwierig wie der Aufstieg zum Ehmarnhorn , doch die Spalten im vorgelagerten Gletscher sollen tückisch sein. Carl erschrickt. Nicht wegen Rasches möglichem Tod – im Gegenteil: weil er merkt , daß sich eine Hoffnung an die Vorstellung hängt , die so schäbig ist , daß er sich schämen sollte. Vielleicht war es ein Vorzeichen , daß Rasche gesehen hat , wie der Amerikaner abgestürzt ist , eine Warnung , die er in den Wind geschlagen hat.
    »Wo führst du mich eigentlich hin?«
    Er macht ein finsteres Gesicht , sagt: »Jetzt , wo du den Weg zurück ohne mich nicht mehr findest , kann ich es dir verraten: in ein dunkles Tal , wo die Berggeister meine Verbündeten sind und …«
    Er hält inne , vielleicht versteht sie ihn falsch , grinst: »Nein. Quatsch. Das ist der schönste Ort , an dem ich je gewesen bin.«
    »Ist es noch weit?«
    »Nicht sehr.«
    Vor ihnen liegt ein Stück Wald , das sich einen Hang hinaufschiebt bis zum Fuß der dreihundert Meter hohen Steilwand. Es ist dieselbe , die man von der Gregoriushütte aus sieht. Sonne bricht durchs Geäst. Zwischen den Bäumen zu ihren Füßen niedrige Sträucher , voll mit kleinen Beeren. Carl pflückt eine

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