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Wir Kinder der Kriegskinder

Wir Kinder der Kriegskinder

Titel: Wir Kinder der Kriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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besetzt. Insofern stellt sich tatsächlich die Frage, inwiefern er es sich leisten konnte, eine kunstakademische Ausbildung aufzunehmen: Für Andreas Vater gab es „nichts Schlimmeres als einen jungen Schnösel ohne Lebenserfahrung, der Abitur hat und studiert“. Vermutlich war es einfacher für Andreas, sich mit dem Minderwertigkeitsgefühl seines Vaters zu identifizieren, als das Risiko einzugehen, dessen fragile Balance durch eigene Erfolge zu erschüttern. „Den Minderwertigkeitskomplex meines Vaters, den habe ich eins zu eins übernommen“, gibt er zu. „Dieses ‚Ich bin nicht gut genug‘-Thema. Bei meinem Vater war eben immer alles improvisiert, ohne Struktur. Er hat inkeiner Weise Sicherheit ausgestrahlt – nur diese massive Existenzangst.“

    Mit Ende 20 zog Andreas nach Berlin, wieder mit dem Ziel, dort eine Kunsthochschule zu besuchen. Auch hier gelang der Weg an die Hochschule nicht, obwohl er einen renommierten Kunstpreis gewann und über gute Kontakte verfügte. Andreas vermutet, dass er seinem Wunsch, Kunst zu studieren, einfach nicht genug Nachdruck verleihen konnte: „Ich konnte das nicht vermitteln, die Barriere war viel zu hoch.“ Neben seiner künstlerischen Arbeit begann er zu renovieren, um Geld zu verdienen.
    Mit Ende 30 hängte Andreas schließlich die Kunst an den Nagel und richtete sich neu aus als Grafiker. Mittlerweile ist er ganz gut im Geschäft, hat aber nach wie vor das Gefühl, sich im Weg zu stehen. „Für mich ist es heute noch schwer, mich als Grafiker einer Redaktion vorzustellen“, erzählt er. „Ich habe immer das Gefühl: Da gehöre ich eigentlich gar nicht hin. Und wenn mal eine Rechnung offen ist, habe ich Probleme, das Geld einzutreiben. Etwas zu fordern habe ich von meinen Eltern nicht gelernt. Sie vertreten heute noch diese Flüchtlingsmentalität des Sich-Hinten-Anstellens.“ Im Nachhinein, so sagt Andreas, sei er einen ähnlichen Weg wie sein Vater gegangen, „unverbindlich und irgendwie ziellos“.
    Und doch hat Andreas es trotz aller Ängste und Hemmungen geschafft, ein zufriedenes Leben zu führen. Er ist glücklich verheiratet und engagierter Vater, obwohl er lange keinen Kinderwunsch verspürte – aus Angst, nicht über ausreichend berufliches „Standing“ zu verfügen, um ein Kind in die Welt zu setzen. „Und dann dachte ich irgendwann: Wenn wir ein Kind haben wollen, dann muss ich es eben so hinnehmen, wie es ist“, erklärt er.
    Umso wichtiger ist es ihm, seinem zweijährigen Sohn Paul andere Werte zu vermitteln, als seine Eltern dies bei ihm getan haben. „Ich möchte, dass er das Selbstbewusstsein entwickelt, seine Ziele zu verfolgen“, betont Andreas, „meine Angst soll er nichtbekommen.“ Er will darauf achten, dass Paul später eine Ausbildung macht. Denn noch heute bedauert Andreas, selbst keine absolviert zu haben. „Die Wichtigkeit konnte mein Vater mir nie vermitteln“, erinnert er sich. „Mein Vater ist ein lieber und netter Kerl, aber er hat mir kaum zeigen können, was im Leben wichtig ist. Dazu war er viel zu sehr geprägt von den Mangelerfahrungen seiner Kindheit und dieser Mentalität des ‚irgendwie Durchkommens‘.“ Andreas will seine Vaterrolle anders ausfüllen, will einerseits klare Grenzen setzen und seinem Sohn andererseits mehr Selbstvertrauen mit auf den Weg geben. Er möchte die Orientierung vermitteln, die er selbst nie hatte erfahren können.
    Auch mit seiner beruflichen Situation hat Andreas sich arrangiert. Seinen relativ freien, aber oft auch finanziell unsicheren Lebensstil betrachtet er inzwischen als Reaktion auf den eng gestrickten Lebensrahmen und die Verarmungsängste seiner Eltern. „Ich fand es unfrei, jeden Tag zur Arbeit zu gehen und immer zu sparen und am Haus zu arbeiten“, erklärt er. „Aber natürlich bin auch ich in meinem Leben nicht richtig frei: Das Geld kommt, das Geld geht, ich beeinflusse es kaum. Das ist schon Stress.“
    Mittlerweile überlegt Andreas, die Kunst wieder aufzunehmen. Seine Motivation ist heute jedoch nicht mehr, der Enge seiner Herkunftsfamilie zu entgehen, sondern einfach, Kunst um der Kunst willen zu machen. Die kreative Arbeit erlebt er als Bereicherung. „Letztendlich habe ich doch immer gemacht, was mir wichtig war“, analysiert Andreas. „Obwohl ich sicher kürzere Wege hätte gehen können. Dieses Nicht-Trauen stand mir immer im Weg. Mein Leben ist wohl eine Mischung aus Barrieren und den Versuchen, mir Freiraum zu schaffen.“
„Ich habe immer den

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