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Wir Kinder der Kriegskinder

Wir Kinder der Kriegskinder

Titel: Wir Kinder der Kriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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neuen Lebenssituation überhaupt nicht klar“, erzählt Alicia. „Schon als kleines Kind fragte sie wohl dauernd: Wann flüchten wir wieder? Was meine Mutter von der Flucht erzählt, hört sich auch ganz anders an als das, was meine Tante und mein Onkel erzählen. Für sie war die Flucht eine sehr diffuse Erfahrung – furchtbar, aber auch toll.“
    Es ist anzunehmen, dass Alicias Mutter viele der sicherlich ängstigenden Erlebnisse dieser Zeit nicht verstanden hat und diese offenbar auch später nicht aufarbeiten konnte – über die Flucht wurde in der Familie schließlich nicht mehr gesprochen. Die Kriegs- und Fluchterfahrungen des kleinen Kindes blieben so unverstanden – und unbewältigt.
    Alicia war ein ungeplantes Kind. Als die Mutter mit 20 von Alicias Vater, der damals erst 19 war, schwanger wurde, mussten die beiden jungen Leute auf Druck der Eltern heiraten. Anschließend gingen sie gemeinsam nach Berlin, fernab elterlicher Kontrolle, wo Alicia nach nur sieben Monaten Schwangerschaft auf die Welt kam und ihre ersten drei Lebensmonate im Brutkasten verbrachte. Für den Beginn einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind war dieser schwierige Start ins Leben vermutlich nicht förderlich. Die ersten Lebensmonate Alicias, das junge Alter der Eltern und deren eigene schwierige frühkindliche Erfahrungen – all das erschwerte eine positive Beziehungsaufnahme. „Als Kind kam ich mir manchmal vor wie eine Topfblume, die man geschenkt bekommt, aber eigentlich überhaupt nicht haben will“, erklärt Alicia.
    Als sie noch sehr klein war, gingen die Eltern mit ihr nach Düsseldorf und eröffneten dort eine Kunstgalerie. Doch dieses Projekt scheiterte genau wie die Ehe nach wenigen Jahren. Die Mutter ging mit der vierjährigen Alicia zurück nach Berlin, nahm dort ein Studium auf und begann, sich in der KPD zu engagieren. Mit ihrer kleinen Tochter zog sie in eine WG.
    Alicia kann sich noch gut an diese Zeit erinnern. Das WG-Leben gefiel ihr. „Ich hatte immer Ansprechpartner“, erinnert sie sich. „Mit acht bin ich auch schon auf Demonstrationen mitgegangen. Wenn die Situation dann heikler wurde und auch mal Steine flogen, hat der Mitbewohner meiner Mutter sich um mich gekümmert – meine Mutter war in der Regel weg. Dass sie sich nur wenig um mich kümmerte, das zieht sich durch mein Leben. In der WG wurde das damals noch einigermaßen aufgefangen.“Doch bald konnte die Wohngemeinschaft die Haltlosigkeit der Mutter, die sich immer stärker in der KPD engagierte, nicht mehr kompensieren. Ganz plötzlich entschloss Alicias Mutter sich dann, mit ihrem neuen Partner und der zehnjährigen Tochter nach Bochum zu ziehen, um dort im Auftrag der Partei die Massen wachzuküssen. Für Alicia bedeutete dies eine radikale Umstellung: Sie kam mit dem neuen Lebensentwurf ihrer Mutter nicht klar, fand in Bochum keinen Anschluss, fühlte sich zu Hause nicht wohl und entwickelte eine kindliche Depression.
    „Meine Mutter beendete ihr Sozialpädagogik-Studium und trat eine Stelle beim Jugendamt an, doch mit mir sprach sie kaum“, erklärt Alicia. „Irgendwie kann sie kaum nachvollziehen, was in anderen Menschen vorgeht. Wenn ich heute versuche, mit ihr darüber zu sprechen, nimmt sie das nur als Vorwurf wahr. Sie hört nur das, was ein Dreijähriger hören würde. ‚Du warst böse.‘ Es ist unmöglich, ihr klarzumachen, worum es geht. Manchmal kommt sie mir heute noch vor wie ein kleines Kind, wenn sie Geschichten aus der Zeit erzählt, als sie vier oder fünf war. Man merkt: Da sitzt das Trauma.“

    Doch auch der neue Lebensentwurf der Mutter war nicht von Dauer. Nach wenigen Jahren geriet sie in Konflikt mit ihren politischen Mitstreitern und verließ die Partei. In dieser Zeit ging auch ihre Beziehung in die Brüche. Doch lange alleine sein, das konnte die Mutter nicht. „Sie stürzte sich sofort in die nächste Beziehung“, erzählt Alicia. „Es war wie immer: Neuer Mann, neuer ideologischer Überbau, alles war anders.“ Als Kind hat es mich verrückt gemacht, dass sie immer so sprunghaft und unberechenbar war. Sie konnte überhaupt keine Orientierung geben. Mit Mitte 30 wurde sie dann noch mal schwanger.“ Ein Junge wurde geboren. Als auch die neue Beziehung in die Brüche ging, zog Alicias Mutter nach Frankfurt. Alicia blieb in Bochum, suchte sich eine kleine Wohnung und begann eine Lehre als Tischlerin. „Das war richtig hart, weil ich immer wieder anDepressionen litt“, erzählt sie. „Aber ein

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