Wir Kinder von Bergen-Belsen
verließ.
Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas, wir waren viel zu erschrocken. Ich drehte mich zu Loukie um und fragte, ob er in Ordnung sei. Er war sehr blass, brachte aber ein schwaches Lächeln zustande, um mir zu zeigen, dass es ihm so weit gut ging. Ich rief Iesie, damit er sich um Loukie kümmerte, denn ich wollte hinüber ins Esszimmer gehen, um zu erfahren, was dort geschehen war.
Im Esszimmer herrschte Chaos. Tische und Stühle waren umgeworfen, und der Ofen brannte mit weit offenen Türchen, durch die Teile der hölzernen Pritschenbretter hervorschauten. In einer Ecke des Zimmers lag Schwester Hella auf ihrem Bett, und ihre Mutter, die Hexe, kümmerte sich um sie. Hella bot einen schrecklichen Anblick. Sie hatte dicke, blaue Schwellungen an den Augen und ihre Oberarme waren mit Striemen und Quetschungen übersät, weil sie versucht hatte, mit erhobenen Armen ihren Kopf vor den brutalen Schlägen zu schützen, die Rau ihr versetzt hatte. Maria, die auch ein paar Schläge abbekommen hatte, war in einem viel besseren Zustand und in der Lage, mir zu erzählen, was Rau so in Rage gebracht hatte.
Schwester Hella war gerade dabei, ein Pritschenbrett in den Ofen zu stopfen, als Rau ins Esszimmer kam. Niemand hatte sie vor seiner Ankunft gewarnt, deshalb hatte er sie auf frischer Tat ertappt. Wir hatten kein Werkzeug, um die Bretter in kleinere Stücke zu zerlegen, deshalb verbrannten wir sie immer in voller Länge, indem wir sie tiefer in den Ofen drückten, wenn der untere Teil verbrannt war.
Der Anblick des brennenden »deutschen Eigentums« hatte zu Raus Tobsuchtsanfall geführt. Aber Rau brauchte keine besonderen Anlässe für so etwas. Er wurde im gesamten Lager wegen seiner Grausamkeiten gegenüber den Gefangenen gefürchtet. Zum Glück waren sie nur zu dritt im Esszimmer gewesen:
Schwester Hella, ihre Mutter und Maria. Ich ging in den Schlafraum zurück, wo sich die anderen langsam von ihrem Schrecken erholten. Jackie schien die ganze Aufregung verschlafen zu haben. Er fühlte sich sehr heiß an, deshalb legte ich einen nassen Waschlappen auf seine Stirn, um das Fieber zu lindern.
Damals hatte ich keine Ahnung, dass Jackie Typhus hatte. Im Lauf der folgenden Tage erkrankten noch andere Kinder an dieser schrecklichen Seuche, die von Läusen und den Wanzen übertragen wurde, die uns nachts plagten. Tagsüber waren die Wanzen nicht zu sehen, aber nachts bissen sie uns, sodass wir morgens mit schmerzenden, roten Beulen am ganzen Körper aufwachten.
Ich betrachtete die Kinder, ihre ungewaschenen Haare und Gesichter, und beschloss, dass etwas unternommen werden musste. Ich befahl ihnen, ihre Gesichter und Hände zu waschen und wollte dann am Eingang zum Korridor ihre Haare nach Läusen absuchen. Jemand brachte mir einen Stuhl und ich nahm die Friseurschere meiner Mutter aus meinem Regal, einen Kamm und einen Läusekamm.
Ich begann mit den Jungen. Die Haare von manchen waren inzwischen schulterlang. Ich schnitt sie ihnen ab und wurde im Lauf der nächsten Stunden ganz geschickt bei dieser Arbeit. Nachdem ich ihre Haare beträchtlich gekürzt hatte, fuhr ich mit dem Läusekamm hindurch. Die Jungen waren einigermaßen sauber. Nicht viele hatten Läuse und auch nur wenige von den kleinen Mädchen, die nachmittags an die Reihe kamen. Trotzdem war ich erschöpft von der Arbeit und machte erst am nächsten Morgen weiter.
Zuerst kam Phoebe an die Reihe. Ich schnitt ihre Haare und untersuchte dann ihren Kopf nach Läusen. Phoebe teilte mit mir das Bett, und ich war froh, nur ein paar Läuse bei ihr zu finden. Ich kämmte sie heraus und zerdrückte sie zwischen Finger und Daumennagel. Das Knacken freute mich, denn es sagte mir, dass sie tot waren. Ich hatte keine Ahnung, dass ich damit mein Leben gefährdete.
An diesem Morgen schnitt ich den meisten Mädchen die Haare, bis Bella an die Reihe kam. Bella hatte dicke, schulterlange schwarze Haare, und noch bevor ich sie berührte, konnte ich die Nissen auf der oberen Haarschicht erkennen und die Läuse sehen, die auf ihrem Kopf herumliefen. Ich fragte Bella, ob ihr Kopf jucke.
»Ja«, sagte sie, »aber was kann ich tun?«
»Als Erstes könntest du dir die Haare am Wasserhahn waschen«, sagte ich.
»Brrr!« Bella schüttelte sich. »Das ist zu kalt.«
Ich stimmte zu. Dann sagte ich, sie solle still sitzen, ich wolle versuchen, ihr zu helfen. Ich zog den Läusekamm durch ihre Haare und das Ergebnis war schrecklich. Der ganze Kamm war voller Läuse, von
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