Wir lassen sie verhungern
nacheinander vier amerikanische Botschafter am europäischen Sitz der Vereinten Nationen in Genf erlebt: Ausnahmslos haben alle vier meine Berichte und alle meine Empfehlungen heftig bekämpft. Zwei Mal verlangten sie (vergeblich) von Kofi Annan meine Abberufung; und natürlich stimmten sie gegen die Erneuerung meines Mandats.
Zwei dieser Botschafter – vor allem ein Nabob der Pharmaindustrie aus Arizona, ein persönlicher Freund von George W. Bush – haben mich mit erbittertem Hass verfolgt. Ein anderer begnügte sich mit der strikten Befolgung der Anweisungen des Außenministeriums: Leugnung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, alleinige Anerkennung der bürgerlichen und politischen Rechte.
Mit einem der vier knüpfte ich freundschaftliche Beziehungen. George Moose war Botschafter von Präsident Clinton. Moose war ein kluger, gebildeter Afroamerikaner, den seine Frau Judith begleitete, eine amüsante, sympathische Intellektuelle, die offensichtlich der Linken angehörte und ebenfalls für das State Department tätig war.
Vor seiner Nominierung für den Posten in Genf war George Moose stellvertretender Staatssekretär für Afrika.
Er hatte 1996 Laurent Kabila, einen obskuren Widerstandskämpfer und Goldschmuggler, der sich in die Berge von Maniema 158 zurückgezogen hatte, ausgewählt und zum Chef der Alliance des forces démocratiques de libération (AFDL) in Zaïre gemacht, der heutigen Demokratischen Republik Kongo.
In hohem Maße mit der Geschichte des Landes vertraut, wusste Moose, dass Kabila der einzige überlebende Anführer der lumumbistischen Rebellion von 1964 war, der sich nicht an Mobutu verkauft hatte und der bei der kongolesischen Jugend noch immer ungebrochene Glaubwürdigkeit besaß. Der Gang der Ereignisse sollte zeigen, wie klug Moose gewählt hatte.
Aber unsere gemeinsame Leidenschaft für Afrika reichte nicht aus. Solange er in Genf blieb, bekämpfte auch George Moose meine Empfehlungen oder Initiativen und jeden meiner Berichte über das Recht auf Nahrung. Über seine wirkliche Einstellung zu dieser Frage bin ich mir nie schlüssig geworden. 159
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, also seit mehr als zwanzig Jahren, schreitet die Privatisierung und Liberalisierung der Waren-, Dienstleistungs-, Patent- und Kapitalbewegungen mit verblüffendem Tempo fort. Daher sehen sich die armen Staaten des Südens weitgehend ihres Rechts auf Souveränität beraubt. Die Grenzen sind verschwunden und die öffentlichen Sektoren – bis hin zu den Krankenhäusern und Schulen – privatisiert. Und überall in der Welt wächst die Zahl der Opfer von Unterernährung und Hunger.
Eine viel beachtete Studie von Oxfam ( Oxford Commitee for Famine Relief ) 160 hat gezeigt, dass jedes Strukturanpassungsprogramm, das der IWF in dem Jahrzehnt von 1990-2000 durchgeführt hat, Millionen Menschen dem Hunger ausgeliefert hat. 161
Der Grund ist einfach: Der IWF verwaltet die Auslandsschulden der 122 Staaten, die die sogenannte Dritte Welt bilden. Die beliefen sich am 31. Dezember 2010 auf über 2100 Milliarden (2,1 Billionen) Dollar.
Um die Zinsen und Tilgungsraten ihrer Schulden bei den Gläubigerbanken und dem IWF bedienen zu können, brauchen die Schuldnerländer Devisen. Denn die großen Gläubigerbanken akzeptieren natürlich keine Bezahlung in haitianischen Gourdes, bolivianischen Bolivianos oder mongolischen Tugriks.
Wie kann sich ein armes Land in Südasien, den Anden oder Schwarzafrika die erforderlichen Devisen beschaffen? Indem es Produkte oder Rohstoffe ausführt, die ihm in Devisen bezahlt werden.
Von den 54 Ländern Afrikas sind 37 fast reine Agrarstaaten.
In regelmäßigen Abständen räumt der IWF den überschuldeten Ländern ein befristetes Moratorium oder eine Refinanzierung ihrer Schulden ein. Unter der Bedingung, dass die überschuldeten Länder sich einem sogenannten Strukturanpassungsprogramm unterwerfen. Alle diese Programme zwingen die betroffenen Länder zu oft massiven Kürzungen der Ausgaben für Gesundheitswesen, Bildungssystem und Sozialleistungen – etwa Subventionen auf Grundnahrungsmittel und Unterstützung bedürftiger Familien.
Das erste Opfer der Strukturanpassungsprogramme ist der öffentliche Dienst. Tausende von Beamten und Angestellten – Krankenschwestern, Lehrer und andere Beschäftigte – werden im Rahmen dieser Anpassungsprogramme des IWF entlassen.
In Niger, einem Land von Hirten und Viehzüchtern mit über 20 Millionen Stück Vieh,
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