Wir müssen leider draußen bleiben
Freundschaften seien zerbrochen, in den Familien gebe es ständig Streit. Das Sozialleben aufrechtzuerhalten, werde immer schwerer.
Dulali Begum leitet eine Einheit von Kreditnehmerinnen der Grameen Bank, in der sechs Gruppen à fünf Frauen organisiert sind.
»Wenn eine der fünf Freundinnen einen Kredit aufnehmen möchte, braucht sie dazu die Zustimmung der anderen vier. Obwohl jede Kreditnehmerin selbst für ihr Darlehen verantwortlich ist, funktioniert die Gruppe wie ein kleines soziales Netzwerk, dessen Mitglieder einander aufmuntern, psychologisch unterstützen und gelegentlich in praktischen Fragen unter die Arme greifen«, schreibt Muhammad Yunus in seinem Buch Die Armut besiegen . 456
Früher unterstützten sich die Frauen gegenseitig, wenn die Familien in Not gerieten, etwa wenn jemand krank wurde. Ein engmaschiges soziales Netz ist lebenswichtig für die Armen auf dem Land, gerade für Frauen, die kaum mobil sind. Heute ist die gegenseitige »Unterstützung«, wie sie Yunus beschreibt, zur Sippenhaft geworden: Als Kreditnehmerinnen bürgen sie füreinander. Das ist die wesentliche Sicherheit der Kreditgeber: Wer nicht zurückzahlen kann, der ist nicht nur den Pressionen der Bank ausgeliefert, sondern auch dem sozialen Druck der Mitglieder. »Es steht außer Zweifel«, schreibt Yunus weiter, »dass die Ausrichtung der Grameen Bank auf die Gemeinschaft wesentlich zum Erfolg des Systems beigetragen hat. Der (…) positive soziale Druck trägt dazu bei, die Kreditnehmerinnen dazu zu bewegen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.« 457
Diese »Motivation« sieht dann nicht selten so aus: »Einmal«, sagt Dulali und schaut beschämt zu Boden, »haben mich die Mitarbeiter der Bank dazu gezwungen, einer Frau, die nicht zahlen konnte, die einzige Kuh wegzunehmen.«
Ökonomie der Beschämung
Bereits Mitte der neunziger Jahre untersuchte der bangladeschische Anthropologe Aminur Rahman die Auswirkung der Mikrokredite auf das Leben der Frauen. Im Dorf Pas Elahin sprach er ein Jahr lang mit Kreditnehmerinnen und Bankangestellten. Sein Befund: Das geliehene Geld führt ganz und gar nicht zur Selbstermächtigung. Im Gegenteil nutzten die Mikrofinanzorganisationen die schwache Position der Frauen aus und zementieren diese: Die armen Frauen sind passiver, fügsamer, weniger mobil als Männer. Weil sie sich für das Wohlergehen der Familie verantwortlich fühlen, sind sie außerdem zuverlässiger. Die Bankmitarbeiter wiederum, die bei den Frauen die Kreditraten und Zinsen eintreiben, seien zu 91 Prozent Männer. Das hat einen ganz ordinären Grund: »Frauen können nicht so rigide sein wie Männer, wenn sie das Geld einkassieren«, verriet Rahman einem Filialleiter. 458
Mit den Geldeintreibern kommen die Unanständigkeiten privater Geldverleiher, vor denen die Frauen laut Yunus eigent lich geschützt werden sollten: Die Schergen der Banken nehmen den Frauen ihren goldenen Nasenring weg, der die selbe Bedeutung hat wie ein Ehering und den sozialen Status einer Frau markiert. Sie zwingen die Frauen dazu, Hausrat oder gar Land zu verkaufen, nehmen ihnen Kühe oder Ziegen weg, fällen Bäume, decken das Dach ab oder zerlegen ganze Häuser. Sie beschimpfen die Schuldnerinnen vor ihren Männern und dem ganzen Dorf. Sie tun all das entweder selbst oder »überreden« Gruppenleiterinnen, diese Demütigungen zu übernehmen. Oft sitzen mehrere Geldeintreiber stundenlang im Haus der Verschuldeten, manchmal sogar über Nacht, und ziehen auf diese Weise das Ansehen der Familie in den Schmutz. Ich selbst habe in Bangladesch dreizehn Dörfer besucht, und in jedem dieser dreizehn Dörfer mindestens eine dieser Geschich ten gehört. In manchen Fällen kamen sogar alle genannten Repressalien zusammen.
Seit den achtziger Jahren kämpft die Organisation Krishok Federation, mit der ich zu den Armen des Landes gefahren bin, gegen Mikrokredite. Badrul Alam, der Leiter der Initiative, erinnert sich, wie sie misstrauisch geworden seien, dass die Mikrokredite verheerende Folgen haben könnten. Nämlich als sie aus glaubwürdiger Quelle hören mussten, dass eine Frau von den Eintreibern so lange verprügelt wurde, bis ihre Beine gebrochen waren.
Die hohen Rückzahlungsquoten werden gerne als besondere Moral der Armen verbrämt – eine ökonomische Version der Theorie des »edlen Wilden«. Tatsächlich aber werden die Zahlungen durch barbarische Methoden erzwungen. Die bangladeschische Anthropologin Lamia Karim, die an der Universität von
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