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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Wirtschaftswissenschaftler selbst greifen – um die Effektivität der Mikrokredite in der Armutsbekämpfung zu belegen – auf eine sehr eng gefasste Definition von Armut zurück, die in der Fachwelt bestimmend ist. Sie orientiert sich ausschließlich daran, ob Geld vorhanden ist oder nicht. Aber Armut ist ein komplexer Zusammenhang, der sich nicht allein am Geldeinkommen messen lässt. Subsistenzwirtschaft – beispielsweise der Anbau von Feldfrüchten zum Eigenverbrauch – spielt in den Kalkulationen der Mikrofinanz-Ökonomie keine Rolle, sondern nur solche Produkte, die auf dem Markt in bare Münze verwandelt werden.« 485 Die zu diesem Thema publizierten Arbeiten fußten fast immer auf ausschließlich finanztheoretischen Konzepten, bei denen der Tauschwert alles sei, der Gebrauchswert hingegen ignoriert werde. Darunter etwa das Standarwerk der Mikrokredit-Apologeten Portfolios of the Poor – How the World’s Poor Live on $ 2 a Day . Darin heißt es: »Wir betrachteten die Haushalte wie Kleinunternehmen, erstellten Bilanzen und Finanzberichte und achteten mit größter Aufmerksamkeit auf das finanzielle Gebaren: auf das Geld, das geliehen und zurückgezahlt, ausgeliehen und einkassiert, gespart und abgehoben wird.« Feldstudien, die sich mit den sozialen Effekten der Mikrokredite beschäftigten, etwa von Anthropologen und Ethnologen, würden von solchen Wirtschaftswissenschaftlern ignoriert oder gar belächelt. Klas nennt einen weiteren Ökonomen, Shahidur Khandker, der im Auftrag der Weltbank Studien durchgeführt habe. Khandker behaupte, dass Mikrokreditnehmerinnen ihre Töchter häu figer in die Schule schickten, dass sich der Gesundheitszustand der Kinder verbessert habe und dass sich die relative Armut in Bangladesch seit Einführung der Mikrokredite um 40 Prozent verringert habe. Die Studie gelte als Grundlage der Mikrokredit-Apologeten. Zwar stellten andere Ökonomen, Jonathan Murdoch und David Roodman, die empirische Beweiskraft die ser Studie in Frage und kritisierten, dass die Untersuchung keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten könnte. Doch ihre Argumente seien von der Fachwelt ignoriert worden. 486
    Im August 2011 erschien ein Report der britischen Wissenschaftler um Maren Duvendack und Richard Palmer Jones, u. a. Ihre Untersuchung mit dem Titel » What is the evidence of the impact of microfinance on the well being of poor people? 487 wurde unter anderem von der britischen Regierung finanziert. Die Wissenschaftler haben Daten aus Indien und Bangladesch analysiert und fast sämtliche Studien zum Erfolg der Mikrokredite untersucht. Ihr Ergebnis ist eindeutig: Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass Mikrokredite den Armen in irgendeiner Weise nützen. Die positiven Studien seien unzuverlässig, weil sie auf zu weichen Untersuchungsmethoden und unzureichendem Datenmaterial gründeten. Der Mythos vom Erfolg der Mikrokredite werde allenfalls durch Anekdoten und begeisterte Geschichten aufrechterhalten, die die Mikrokredit-Industrie in Umlauf brächten. 488 Auf große Resonanz stieß auch diese fast 200 Seiten starke Untersuchung leider nicht.
    Nicht nur, dass solche Berichte fast schon ignoriert werden: Die Grameen Bank behindert Kritiker ganz offensiv. Als Aminur Rahman einen Verlag suchte, um seine Studien zu veröffentlichen, und beim englischsprachigen Verlag University Press Limited anfragte, lehnte dieser die Publikation mit der Begründung ab, ein »prominenter Wirtschaftswissenschaftler« habe sein Veto eingelegt. 489 Gerhard Klas hat in Dhaka die Wirtschaftswissenschaftlerin Maha Mirza getroffen. Sie absolvierte 2004 ein Praxissemester in der Zentrale der Grameen Bank. Damals sei sie noch eine glühende Anhängerin von Muhammad Yunus gewesen. Ihre Feldarbeit habe sie im Tangail-Distrikt machen wollen. Dort gibt es die meisten Mikrokreditorganisationen auf einem Fleck. Doch das wurde ihr verwehrt. Im Interview mit Klas sagt sie: »Sie bringen dich nur dorthin, wo sie viele Erfolgsgeschichten vorzuweisen haben und die Gesprächspartner sehr loyal zur Grameen Bank eingestellt sind. Du besuchst ein Haus nach dem anderen, arme Leute, denen es jetzt gut geht. Diese Leute können einen wirklich glauben machen, dass tatsächlich alles funktioniert. Aber wehe, man sucht sich selbst eine Region aus, die man besuchen will, zum Beispiel Tangail. Dort gibt es viele Leute, die alles verloren haben und total verschuldet sind. Das lehnt die Grameen Bank ab, dort bringen sie einen nicht hin.«

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