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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Weisband
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gewaltig. Alle total korrupt und geldgeil.«
    »Naja …«
    »Sitzen auf ihren hohen Diäten und kriegen den Arsch nicht hoch. Statt sich mal um echte Probleme zu kümmern.«
    »Also eigentlich ist das Problem eher …«
    »… also mal die Straßen sauber machen. Ne? Wir bräuchten echt mal mehr ehrliche Politiker, die was tun. Also mit dem, was der Sarrazin geschrieben hat, ne? Der hat ja auch recht …«
    »Oh Gott.«
    Das mit der Politik hatte ich mir anders vorgestellt.

Über Macht
    Ich bin einmal auf Twitter gebeten worden, Politik in 140 Zeichen zu erklären. Ich schrieb: »Wir haben einen Kuchen. Wie verteilen wir ihn?« Natürlich ist das stark vereinfacht. Wir müssen ja auch sehen, woraus wir den Kuchen backen und welche Backzeit die richtige ist und wonach der Kuchen schmecken soll und wie viel wir unseren Nachbarn abgeben. Außerdem unter welchen Bedingungen wir den Kuchen essen können und ob es Kaffee für jeden dazu gibt. Aber sogar diese komplexere Metapher ist ein klein wenig naiv. Denn Politik hat einen Aspekt, dessen Bedeutung zu akzeptieren ich mich lange geweigert habe. Macht.
    Lange Zeit hielt ich die Gleichsetzung von Politik und Macht und die gleichzeitige Abscheu vor beidem für eine übertriebene Neidreaktion. Besonders in der Zeit, in der ich selbst politisch aktiv wurde und die Herausforderungen sah, vor denen man steht. In einem längeren Lernprozess musste ich allerdings feststellen, dass persönliche Macht tatsächlich ein wichtiger Faktor im gesamten politischen Betrieb ist. »Ach«, wird sich der geneigte Leser denken, »wirklich?« Dabei ist das keineswegs selbstverständlich.Natürlich kann man Macht auch als den Handlungsspielraum definieren, der einem zur Verfügung steht, um Dinge zu verändern. Dagegen ist nichts einzuwenden und darum geht es mir auch hier nicht. Vielmehr geht es um die persönliche Macht, deren Vergrößerung nach und nach zum eigentlichen Ziel politischen Agierens werden kann. Und nach meinem Empfinden geht es den meisten Politikern zum Beginn ihrer Karriere eben nicht um persönliche Macht. Denn normalerweise geht ja niemand in die Politik, gründet niemand eine Organisation oder Partei und sagt: »Jetzt werde ich reich und mächtig!« Parteien und Organisationen beginnen meist klein und mit harter Arbeit. Zumeist braucht es ein gewisses Maß an Überzeugung und Glauben an die Sache, um diese Anfangsphase zu überstehen. Es gehen also vermutlich viele Menschen in die Politik, die wirklich etwas verändern wollen.
    Interessant ist aber, dass sich das irgendwann ändert. Nicht, weil man als Politiker augenblicklich böse wird, plötzlich die Finger zur Raute des diabolischen Nachsinnens faltet und laut lacht. Es ist vielmehr eine langsame Veränderung in den Gedankenstrukturen. Nehmen wir folgendes Beispiel.
    Ein Dorf mit mehreren hundert Einwohnern lebt so eigenständig, dass die Bewohner überhaupt nicht wissen, zu welchem Land sie gehören. Zwischen dem Dorf und einigen Feldern fließt ein Fluss, über den man mit einer Fähre übersetzen muss. Eines Tages beschließt ein Bauer, Otto, dass das kein haltbarer Zustand ist. Eine Brücke über den Fluss muss her. Er selbst kann so eine Brücke natürlichnicht bauen, er bittet also die Männer, ihm Material und Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Er selbst beaufsichtigt den Bau. Nicht, um sich wichtig zu fühlen. Einfach, weil es jemand tun muss. Die Männer haben auch kein Problem damit. Nur eines Tages kommt der Sohn seines Nachbarn und sagt, dass die Brücke doch gar nicht so breit sein muss. Es würde Arbeit sparen, wenn man sie schmaler macht. Otto hingegen ist überzeugt, dass sie genau so breit sein muss. Er hat doch immerhin die ganzen Pläne gezeichnet und schon so viel Arbeit investiert. Außerdem war das Ganze seine Idee. Er hat ein Anrecht darauf, zu bestimmen, wie die Brücke aussehen soll. Das ist nur gerecht. »Halt dich aus der Planung der Brücke raus! Du weißt gar nichts! Wenn du dich nicht raushältst, erzähle ich deinem Vater, dass du dich nachts heimlich mit der Inge triffst«, sagt Otto also zum Störenfried.
    Schon besteht er auf seiner Macht, schon mündet sein Machtkampf sogar in etwas, das man als Intrige bezeichnen könnte. Nicht, weil Otto größenwahnsinnig oder böse wäre. Sondern, weil er Arbeit und viele Gedanken in etwas investiert hat und überzeugt davon ist, dass gerade sein Weg der richtige ist. Die Pest der Politik ist die Überzeugung, dass nur man selbst etwas

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