Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
fünf hatte sie aus der ersten Ehe, hatte Henriette ein wenig abseits gestanden. Sie schien mit sich zu ringen; Heinrich konnte nicht erfassen, was sie quälte, doch nach einigen Minuten kam sie, lächelnd, freundlich, in die Runde der anderen zurück. Von diesem Augenblick an ließ Heinrich sie nicht aus den Augen; niemand wird es bemerkt haben, er versteckte seine Blicke wie immer hinter lautem Brummeln, Reden und Erzählen. Bei Tisch sah er, wie sorgfältig sie das Essen aufnahm, wie sie es anordnete auf ihrem Teller, und wie schön ihre Gesten waren, wenn sie ihr Glas an die Lippen setzte oder die Gabel zu ihnen führte. Sie aß ohne Hast, und er konnte kein Anzeichen für jenen anderen, größeren Hunger ausmachen, den er bei Frauen und auch Männern manchmal beobachten konnte, eine unbestimmte Gier, die, sicherlich seelischer Natur, sich doch im Körperlichen zu äußern pflegte. Heinrich scheute diese Gier wie der Teufel das Weihwasser; sie gehörte zu Menschen, die vorgaben, für ihn da zu sein, und seine Gefühle aussaugten wie Vampire, weil sie keine eigenen oder nur wenige besaßen, und die darauf angewiesen waren, sich an seinen Erfahrungen satt zu machen. Doch wenn du nicht aufpasst, so dachte Heinrich oft, dann fangen sie an, dich zu beherrschen, sie wollen es jedenfalls, sie zwingen dir ihr System auf, und ihr System ist eng und klein und legt dir ununterbrochen Beschränkungen auf, und du kannst dich nicht frei bewegen. Heinrich aber hasste jede Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit, und es hatte in seinem Leben nur wenige Menschengegeben, die ihm nicht zu sagen versuchten, wie er was zu tun und zu lassen habe, wer er sein solle und was nicht.
Heinrich beobachtete seine Freundin. Allmählich begriff er, dass es ihr noch immer einen Stich versetzte, Adam mit Sophie zu sehen. Er sah auch, dass sie sich von Louis, ihrem Mann, allein gelassen fühlte; dass dieser aufmerksamer zu anderen war als zu ihr; dass er seiner Tischnachbarin die Karaffe reichte, oder das Brot, nicht aber Henriette.
Heinrich hatte, von ihrer ersten Begegnung an und ungewöhnlich genug, von Anfang an den Eindruck gehabt, Henriette zu verstehen. Ganz leicht hatte sich ihm Henriettes Wesen mitgeteilt und ihn freundlich angezogen, ganz leicht, ohne jeden Druck, und er hatte im Innern über Adam gespottet, der sie an ihn hatte abschieben wollen. Adam schob die Menschen umher, wie er es brauchte, so wie er die Seiten wechselte, wenn es ihm passte: vom Protestantismus zum Katholizismus, vom Preußen zum Österreicher. Nichts gab es, was ihn wirklich band, auch wenn er in seinen Schriften behauptete, der Mensch sei gebunden, und zwar von Geburt, an die Nation, in die er hineingeboren, und an die Religion, in der er auf die Welt gekommen sei. Das mochte für alle anderen gelten, nicht aber für ihn: in Wien war er katholisch, da war es opportun, und im preußischen Berlin hielt er es geheim und ließ sein Töchterchen protestantisch taufen, weil es dort besser passte, von seinem alten Freund Franz Theremin, auch Thérémin, aus altem hugenottischem Geschlecht.
Heinrich sah, was Henriette quälte. Er lächelte sie an, quer über den Tisch; niemand bemerkte es. Es war, als wollte er ihr sagen, lass nur, morgen spielen wir wieder Klavier, dann wirst du alles vergessen.
Adam, der erst vor Kurzem wieder nach Berlin gezogen war, hatte neben Heinrich und einigen wichtigen Leuten, wie dem Bauherrn Langhans, dem Dichter Achim von Arnim, Geheimen Räten sowieso, freundlichen Menschen wie Herrn und Frau Peguilhen und der armen verwitweten Kriegsrätin Julie Eberhardi auch Louis und Henriette Vogel zur Taufe gebeten. Alte Freunde waren wichtig; und hatten nicht sie ihn auch zum Paten bestellt, zur Taufe des kleinen Alfred Ludwig? Wie lange war das schon her? Sieben Jahre? Oder acht? Der kleine Junge war ja dann bald gestorben, und sie hatten sich eine Weile nicht gesehen.
Adam Müller. Heinrichs Freund, aus Dresden. An den Freunden kannst du den Menschen erkennen. Sagt man. Adam kam ursprünglich aus Berlin.
Er strich den fuchsschwanz vorn, doch hinter jemands rücken, / wuszt er der unschuld selbst am zeuge was zu flicken.
Erst hatte Adam »die Vogel« charmant gefunden. Er kannte sie von Weitem, aus der Jugend, wie Louis, aus der Kirche kannte er sie. Doch damals hatte Adam sie nicht beachtet. Jetzt aber, nach einigen Jahren, als sie sich wieder begegneten, darf ich vorstellen, Adam, meineFrau, Adolphine Henriette,
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