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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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kleinen Schritt vorwärts gemacht hatten.«
    »Meine Aufgabe besteht darin, auf diese Leute (die Regierenden) aufzupassen. Das ist genauso, wie wenn Leute wegen eines Einbruchs die Polizei rufen. In diesem Fall waren Tausende von Menschen mit der Regierung und den Parlamentariern unzufrieden, und ich fühlte mich überhaupt nicht als deren Gegner. Wir bei der Polizei sind neutral, und so sollen wir auch auftreten. Wir versuchen immer, den Frieden zu bewahren, und lassen uns nicht so leicht provozieren. Man darf in einem
solchen Fall die Angriffe nicht persönlich nehmen, auch wenn das nicht immer leicht ist.«
    »Es war wirklich seltsam anzuschauen, wie schrecklich aufgeregt die Leute waren, auch ältere Menschen, zwischen fünfzig und siebzig zum Beispiel. Wir hatten ja vor dem Parlamentsgebäude versucht, ein gelbes Band zu ziehen, damit wir wenigstens ein bisschen Bewegungsfreiheit hätten und die Fensterscheiben nicht zerbrechen würden, aber die Leute wollten ja unbedingt ganz dicht ans Haus, um mit ihren Löffeln gegen die Wand und die Fenster zu klopfen, und sie haben das Band als Provokation empfunden, ich habe gemerkt, wie sie vor Wut regelrecht zitterten. Das hat mich wirklich überrascht.«
    »Manche wollten sich einfach mit uns raufen, sogar Leute, die Kleinkinder trugen, was soll man da machen? Kleinkinder haben doch in so einer Menschenmenge nichts zu suchen. Und wenn man dann einen Mann mit einem Baby an den Arm greift und sagt, jetzt mach, dass du wegkommst mit dem Kind, heißt es gleich, die Polizei hätte einen Mann mit einem Kleinkind angegriffen. Das ist nicht schön.«
    »Ich habe natürlich versucht, meiner neunjährigen Tochter zu erklären, dass hier kein Krieg sei, aber was kann man schon einem kleinen Kind erzählen? Die Eltern ihrer Schulfreundin habe ich dann auch auf den Demonstrationen gesehen, aber wir versuchen das voneinander zu trennen, damit es keine persönliche Sache wird.«
    Nach unserem Gespräch gehen wir mit Marino in die Asservatenkammer der Polizei, um den Stein in Augenschein zu nehmen, den er selber noch gar nicht gesehen hat. Er erzählt uns, dass es nun in der Krise mehr Einbrüche und Gewaltverbrechen
gibt als gewöhnlich, und noch nie hätte die Polizei so viele Gewächshäuser mit Cannabis aufgestöbert. Gleichzeitig müsste auch die Polizei sparen. So kann man mittlerweile sagen, dass der Zusammenbruch der Subprime-Kredite in den Vereinigten Staaten der Polizei in Island besonders viel Arbeit bereitet.

Der arbeitslose Visionär
    Hannes Fridriksson, Innenarchitekt

    »Ich hoffe, dass die Krise den Anbruch einer
neuen Periode signalisiert, in der das Menschliche
wieder zum Maßstab wird.«

    Hannes Fridriksson, 53, ist Innenarchitekt. Seinen Job bei einer großen Ingenieurfirma in Reykjanesbaer, in der südwestlichen Ecke Islands, hat er durch die Krise verloren. Als ihm gekündigt wurde, traf ihn das völlig unvorbereitet.
    »Diese Region war ja von einem riesigen Aufschwung geprägt. Es gab jede Menge zu tun. Wer wollte, konnte rund um die Uhr arbeiten. Und dann war plötzlich eines Tages Schluss. Im Laufe von nur einer Woche hielt der Zug einfach an. Das Ganze ging rasend schnell. Alles, was mit Design zu tun hatte, wurde sofort eingespart. Der technische Zeichner und ich wurden gleich gefeuert. Seitdem haben sie noch mehr Leuten gekündigt, und die meisten Übriggebliebenen arbeiten nur halbtags.«
    Wir sitzen in einem großen, leer stehenden Gebäude, das zur Zeit für politische Treffen benutzt wird, früher aber einem Autoverkäufer gehörte – momentan kauft kein Mensch Autos. Hannes, verheiratet und Vater von fünf erwachsenen Kindern, trinkt Kaffee und raucht.
    »Vor dem Sturz der Banken dachten wir, die Zukunft sei rosig. Hier sollte eine neue Aluminiumfabrik entstehen und eines dieser Datenzentren, die sie für die Computer-Server errichten und die einen sehr großen Energiebedarf haben. Dazu kamen haufenweise Projekte rund um den früheren US-Militärstützpunkt, der jetzt zur Uni umgebaut wird, da musste ja alles umgekrempelt werden – und dann plötzlich
nichts mehr, bumm, als ob man die Rollläden heruntergelassen hätte.«
    »Wir erleben jetzt eine einzigartige Epoche in der Geschichte Islands, wo so vieles zusammenbricht, was die letzten Jahre dominierte. Gleichzeitig hoffe ich, dass es den Anbruch einer neuen Periode signalisiert, in der das Menschliche wieder zum Maßstab wird. Die Krise hat trotz allem positive Seiten, denn jetzt redet man in

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