Wir sind bedient
mal sitzen, mal stehen, mal wird das eine Handgelenk mehr belastet, mal das andere, das ist schon besser für uns Arbeiter. Gerade für mich als Linkshänderin. Die Arbeitsgeräte, alle Abläufe am Band sind natürlich für Rechtshänder ausgelegt. Manchmal muss ich mit überkreuzten Händen arbeiten, weil es anders einfach nicht geht.
Die Stückzahlen, die wir schaffen sollen, sind schon enorm. Man arbeitet immer in Teams an einer Linie, und natürlich kann das Team immer nur so viel schaffen, wie das schwächste Glied leisten kann. Wer wie viel schafft, wird genau registriert und für alle sichtbar auf eine Tafel geschrieben.
Früher hatten wir ein Leistungssystem, das heiÃt: Je mehr Teile man geschafft hat in seiner Schicht, umso mehr hat man auch verdient. Heute bekommen alle das gleiche Gehalt, dafür steigt der Leistungsdruck. Wenn man ein paarmal nacheinander die Stückvorgaben nicht schafft, gibt es schon mal ein Gespräch beim Chef. Und es kratzt natürlich auch an der Ehre, wenn alle anderen schneller sind. Den ganzen Tag über denke ich an die Stückzahl, das treibt mich an.
Gearbeitet wird in drei Schichten, jeweils acht Stunden mit dreiÃig Minuten bezahlter Pause. Man kann natürlich auch zwischendurch mal eine Pinkelpause einlegen, doch man muss sich nur mit seinem Team einig sein, einer allein kann ja nicht plötzlich abhauen.
Eine Linie funktioniert immer dann gut, wenn alle im Team in etwa dasselbe Alter haben. Die Jungen arbeiten vielleicht schneller, wollen aber auch ständig Zigarettenpause machen. Ich habe noch zwei Kolleginnen in meinem Alter, und wenn wir zusammen sind, dann läuft es richtig gut. Wir arbeiten vielleicht langsamer, dafür ruhig, konzentriert und gleichmäÃig. Wir machen nicht ständig Pause und kommen so auch auf unsere Stückzahlen. Ich achte auch auf Pünktlichkeit. Was nützt es mir, fünf Minuten zu spät am Band zu stehen, in der Zeit hätte ich schon zwanzig Stück schaffen können.
Am Band wird auch nicht viel gequatscht, dazu sind die Maschinen viel zu laut. Ich kann auch nicht groà mit den Gedanken abschweifen oder mich irgendwelchen Tagträumen hingeben. Ich muss mich total konzentrieren, dass mir kein Fehler unterläuft. Es kann genau nachvollzogen werden, welche Teile ich montiert habe, und wenn ich dann eine falsche SchlieÃzunge erwische oder einen verkehrten Umleiter, weil ich im Kopf nicht bei der Sache war ⦠Das geht nicht.
Der Horror für mich ist, wenn man am Tag mehrmals die Linie wechseln muss, weil vielleicht irgendwo Not am Mann ist. Man muss sich so schnell einarbeiten, sich ständig umstellen. Und klar, manche Kollegen nehmen darauf Rücksicht und unterstützen dich, wenn du gerade neu dazukommst und die Abläufe noch nicht so automatisiert hast. Andere denken sich: Soll se doch sehen, wie sie zurechtkommt.
Unser alter Chef hat damals Anfang der Neunzigerjahre fast nur Frauen eingestellt. Er hat gesagt: Frauen sind fleiÃig, zuverlässig und arbeiten gut. Und in der Regel haben sogar die alleinerziehenden Mütter das irgendwie geschafft mit der Kinderbetreuung und dem Job. Seit ein paar Jahren werden vermehrt Männer eingestellt. Wahrscheinlich glauben die, so die Stückzahlen noch steigern zu können, aber ich persönlich glaube nicht, dass die Männer mehr schaffen als die Frauen.
Es gibt schon ein paar Arbeiten, die sind körperlich sehr hart, da braucht man sehr viel Kraft, da sollen sie ruhig Männer ranlassen. Ich hatte auch mal eine Montageaufgabe, die ging so stark auf die Handgelenke, dass ich gesagt habe, das mache ich nicht mehr. Ich bin zum Betriebsrat und der hat durchgesetzt, dass ich nur noch zehntausend Stück machen musste, und dann war Schluss. Und dann haben sie da Männer aus einer Leiharbeiterfirma hingesetzt, denen haben schon nach acht Stunden die Hände gezittert.
Grundsätzlich kann ich mich aber über die Firma nicht beschweren. Die zahlen ordentlich und auch immer pünktlich, auf Arbeitsschutz wird sehr geachtet. Es gibt immer eine Weihnachtsfeier, einmal kam sogar jemand und hat uns während der Arbeitszeit massiert. Die Chefs wissen schon, dass wir da eine sehr einseitige, körperlich anstrengende Arbeit machen. Aber jetzt mit der Wirtschaftskrise geht natürlich die groÃe Entlassungswelle los. Ich gehe gern arbeiten, das wäre wirklich bitter für mich. Fast vierzig
Weitere Kostenlose Bücher