Wir sind doch Schwestern
haben. Ich habe die Geschäftspost für Herrn Hegmann erledigt und nur in seiner Abwesenheit und in ausdrücklicher Abstimmung mit ihm auch private Post geöffnet, die mir wichtig erschien.«
Es ging stundenlang so weiter. Katty hatte das Gefühl, dass sie zu jedem einzelnen Tag der nur fünf Monate währenden Ehe befragt wurde. Hinter allem stand die zentrale Frage: Mochte der Ehemann seine Hauswirtschafterin lieber als seine Ehefrau? Diese Frage hätte Katty mit Ja beantworten müssen, aber sie wurde nicht gestellt.
Stattdessen musste sie Stellung dazu nehmen, dass Heinrich ihr das Du angeboten hatte, dass er sie nach der Kirche geküsst hatte und warum er sie gebeten hatte, in Bad Honnef zu erscheinen. Sie wurde gefragt, ob sie Heinrich potenzsteigernde Mittel mit auf die Reise gegeben habe, und sie musste sich dazu erklären, warum sie alle drei in einem Schlafzimmer übernachtet hatten, als das Ehepaar von der Hochzeitsreise heimgekehrt war. Sie musste darüber Auskunft geben, ob sie allein mit dem Beklagten in einem Zimmer übernachtet habe. Katty erklärte, es habe daran gelegen, dass man sehr früh am Morgen erst zu Bett gegangen sei und die Klägerin nicht habe wecken wollen. Ein diesbezügliches Missverständnis mit der Klägerin sei noch am selben Tag ausgeräumt worden.
»Ist es denn richtig, dass Sie sich in dem Badezimmer umkleiden, das an das eheliche Schlafzimmer grenzt, und dass Sie sich dem Beklagten regelmäßig im Hemd gezeigt haben?«
Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal. Je intimer die Beschuldigungen wurden, desto empörter taten die Menschen im Saal. Widerliches Volk, dachte Katty und straffte die Schultern.
»Es ist richtig, dass das einzige Badezimmer im Haus an das Schlafzimmer der Eheleute Hegmann grenzt. Mein Schlafzimmer ist in der oberen Etage. Ich kleide mich im gemeinsamen Badezimmer um, wie es alle Haustöchter tun. Aber ich habe mich nicht ›regelmäßig im Hemd gezeigt‹, wie es mir die Klägerin vorwirft.«
»Sie haben es nicht ›regelmäßig‹ getan, sagen Sie«, warf Anna Marias Anwalt ein, »aber Sie geben zu, dass Sie es gelegentlich getan haben?«
»Nein, ich kann mich nicht entsinnen, dass das jemals passiert wäre.« Kattys Stimme zitterte. Sie würde sich stärker konzentrieren müssen. Seit einer gefühlten Ewigkeit wurde sie nun verhört, sie konnte nicht mehr. Das alles war unerträglich. Sie merkte erst jetzt, dass sie dicke Schweißtropfen auf der Stirn hatte. Sie schaute zu Heinrich. Der saß auf der Anklagebank und hatte sie fest im Blick. Als sich ihre Blicke kreuzten, nickte er ihr aufmunternd zu. Sie machte ihre Sache also gut. Reiß dich zusammen, ermahnte sich Katty, weiter im Text. Als hätten die Richter ihre Selbstermahnung gehört, machten sie stakkatohaft mit ihrer Befragung weiter. Ob Heinrich Hegmann sie Karneval 1947 inständig erwartet habe, während seine Ehefrau mit ihren Verwandten Kaffee getrunken und ob er sie mit Küssen begrüßt habe. Sie verneinte die Küsse und gab alles andere zu. Es war lächerlich, wie konnten sich diese seriösen Richter mit so dummen Fragen auseinandersetzen? War es wirklich wichtig, ob er auf sie gewartet hatte oder nicht? All diese merkwürdigen Anschuldigungen konnten Kattys Ansicht nach doch nur eines beweisen, nämlich, dass die Klägerin Anna Maria krankhaft eifersüchtig und darüber hinaus wahrscheinlich sogar verrückt war. Wer würde sonst ernsthaft mit so etwas vor Gericht gehen?
Aber die Richter des Landgerichts arbeiteten gewissenhaft einen Anklagepunkt nach dem anderen ab. Und beim letzten Punkt der Klägerin stockte Katty der Atem. Der Vorwurf war in dieser Form völlig neu für sie und sie fühlte, wie die Scham von ihr Besitz ergriff. Unwillkürlich schlug sie die Hände vors Gesicht.
»Die Beklagte wirft Ihnen vor, Sie hätten ungehindert Zutritt zum Schlafzimmer der Eheleute gehabt. Sie hätten dieses sogar einmal betreten, als die Eheleute geschlechtlich verkehrten. Sie sollen ans Bett getreten sein und die beiden ungeniert zugedeckt haben.«
»Niemals«, stammelte Katty, hochrot im Gesicht, »das habe ich nie gemacht, das ist eine infame Lüge.« Katty war bereit gewesen zuzugeben, dass sie einmal versehentlich die Tür geöffnet hatte, aber diese Anschuldigung war abscheulich. Und es wurde noch schlimmer, als sich Anna Marias Anwalt einschaltete:
»Ist es denn vielleicht zutreffend in der Version, die die Brüder Theodor und Klaus Düke, immerhin die Neffen des Beklagten, zu
Weitere Kostenlose Bücher