Wir sind doch Schwestern
nicht. Ehe du dich versiehst, hat sie dir ein Kind angedreht. Dann gibt es kein Zurück mehr.«
Gertrud war fassungslos. Heinrich war perfide. Er hatte vollkommen ruhig gesprochen, wie ein großer Bruder, der sich sorgte, aus Liebe sorgte. Sie ahnte, dass Franz dem nicht standhalten würde, und fürchtete, dass er verloren hatte.
»Komm her, Kleiner«, sagte Heinrich jetzt mit sanfter, geradezu liebevoller Stimme, »ich verstehe ja, dass du traurig bist.« Gertrud hielt den Atem an. Sie versuchte zu erraten, was da gerade vor sich ging, wie Franz reagierte.
»Na komm schon«, hörte sie Heinrich locken und plötzlich polterte jemand gegen die Badezimmertür.
»Geh mir aus dem Weg!« Franz’ Stimme kam Gertrud auf einmal sehr fremd vor, und auch Heinrich hatte mit einer solchen Reaktion anscheinend nicht gerechnet.
»Franz!«, schrie er. »Franz, komm zurück, ich rede mit dir. Du solltest auf mich hören, sonst wirst du es teuer bezahlen. Du Dummkopf. Ich will doch nur dein Bestes.« Die letzten Worte hatte er beinah geflüstert, dann war es still.
Gertrud merkte, dass ihre Augen brannten. Jetzt reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie würde zurück in den Garten gehen und so tun, als wüsste sie von nichts. Nur irgendwie diesen Tag herumkriegen, dachte sie.
Jemand rüttelte an der Tür. Sie war entdeckt. Vermutlich war es Heinrich, der ins Bad wollte. Er würde sofort begreifen, dass sie den Streit der Brüder belauscht hatte. Gertrud straffte sich, reckte ihr Kinn stolz in die Luft und öffnete die Tür.
Heinrich öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Stumm starrte er sie an. Gertrud starrte zurück.
»Herzlichen Glückwunsch.« Die beiden zuckten zusammen, neben Heinrich war Katty aufgetaucht. Sie hielt ihm einen Blumenstrauß hin und strahlte hoffnungsvoll. Vermutlich hatte sie sich beim Pflücken immer weiter von der Kaffeegesellschaft entfernt und dann nach Heinrich gesucht.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Heinrich rührte sich nicht.
»Die sind für dich«, krakeelte Katty fröhlich.
»Für mich?« Heinrich spielte den Ungläubigen nicht, er schien wirklich fassungslos.
»Aber woher weißt du denn, dass ich Geburtstag hatte?«
»Von Gertrud. Du musst dein Geschenk jetzt aber auch annehmen«, Katty klang beleidigt. Sie schob ihre Unterlippe nach vorne. Heinrich schaute Gertrud an, dann kniete er sich unbeholfen zu Katty hinunter.
»Vielen Dank, junge Dame. Das ist mein erstes Geburtstagsgeschenk in diesem Jahr.«
»Warum«, fragte Katty, »warst du nicht lieb?«
»Wohl nicht«, antwortete er, strich ihr übers Haar und richtete sich auf.
»Komm, lass uns zu den anderen gehen.« Der große Mann reichte dem kleinen Mädchen die Hand. Gertrud beobachtete, wie Katty sich reckte und die Hand ergriff, dann stolzierten die beiden davon.
Der 100. Geburtstag – Donnerstag
Eine unsägliche Kupplerin
»Wer wird denn eigentlich zum Fest erwartet?«, fragte Paula, um sich ein wenig einzustimmen.
»Oh, ich habe bewusst nicht eingeladen«, antwortete Gertrud, »aber ich nehme an, dass die Familie wohl vollzählig erscheinen wird.«
»Mit Mann und Maus, hoffe ich«, posaunte Katty und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: »Wer nicht erscheint, darf sich auf dem Hof die nächsten dreißig Jahre nicht mehr blicken lassen.« Paula freute sich über so viel Harmonie zwischen den Schwestern. Das war weiß Gott nicht immer der Fall.
Sie saßen auf der Terrasse im Garten und genossen den Apfelkuchen, den Katty selbst gebacken hatte. Natürlich gab es einen ordentlichen Schlag Sahne dazu. Die drei plauderten und freuten sich über das Wiedersehen, Paulas Mund war schon ganz trocken und sie beschloss, nun doch vorsichtig den ersten Schluck Kaffee zu probieren. Er war so unerträglich, wie sie es befürchtet hatte, angewidert verzog sie das Gesicht und spuckte das bittere Gesöff auf die Steine. Aus den Augenwinkeln meinte sie, eine Bewegung wahrzunehmen. In dem Moment schoss ihr ein komischer Gedanke durch den Kopf und sie konnte ein Glucksen nicht unterdrücken: »Hab ich Tommy getroffen?« Tommy war Kattys kleiner Schnauzer. Der Hundwar flink wie ein Wiesel und Katty hatte ständig Sorge, dass er einer ihrer älteren Schwestern vor die Füße lief und jemanden zum Stolpern brachte. Doch Paula mochte den Hund, auch wenn er meist so schnell war, dass sie ihn mit ihren schlechten Augen nur als verschwommenes Fellknäuel wahrnahm. Die Vorstellung, dass ausgerechnet sie, die ihn auch
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