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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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von Johannes und Wilhelmine Hegmann machte sich Entsetzen breit, Katty hatte in ihrer Brabbelei von Söckchen und dem bösen Wolf innegehalten, und Franz erbleichte. Langsam und traurig zog er die Hand mit dem Schmuckkästchen zurück. »Nein«, krächzte Gertrud. Sie hatte vor lauter Aufregung tatsächlich keine Stimme mehr.
    »Aber, warum …?«, stammelte Franz.
    »Nein, ich meine, ja. Also, ich will dich heiraten!« Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis Franz begriff und sein frecher Charme wieder die Oberhand gewann.
    »Deine Entschiedenheit! Das war es. In deine Entschiedenheit in allen Lebenslagen habe ich mich zuerst verliebt«, sagte er, dabei zog er Gertruds Finger ein bisschen näher zu sich, schob den Ring darauf und küsste ihre Hand.
    Katty klatschte in die Hände. Intuitiv hatte sie wohl erkannt, wie bedeutsam dieser Moment war. Und schließlich klatschten alle – nur Heinrich nicht. Das brachte ihm einen Fäustchenhieb von Katty ein. »Warum klatschst du nicht? Freust du dich nicht?«
    Heinrich brachte es offenbar nicht übers Herz, seine neueFreundin zu enttäuschen. »Natürlich freue ich mich. Aber wenn ich jetzt klatsche, dann kann ich dich nicht mehr festhalten. Und ich will dich doch nicht fallen lassen«, erwiderte er, aber seine Antwort ging im Tumult unter, denn inzwischen waren alle aufgestanden, um sich zu beglückwünschen und zuzuprosten. Franz’ Mutter nahm Gertrud in den Arm und drückte sie mit einer Herzlichkeit, die man ihr wenige Stunden zuvor noch nicht zugetraut hätte. Franz’ Vater klopfte seinem Sohn kräftig auf die Schulter, und die Eheleute Franken, da sie nun mal gerade keinen Verlobten in die Finger bekamen, herzten sich einfach gegenseitig. Das Hausmädchen hatte noch mehr Schnaps gebracht, Korn für die Männer, süßen Likör für die Frauen, und inzwischen war auch der Appetit zurückgekehrt. Herzhaft langte man zu, aß Kuchen und Brote, mal mit Wurst, mal mit Rübenkraut, und Franz’ Vater aß seine Stulle sogar mit beidem.
    »Wann wollt ihr denn heiraten?«, fragte nach einer Weile Mutter Hegmann. Gertrud und Franz sahen sich an.
    »Vielleicht im Sommer«, sagte Franz.
    »Das wird nicht möglich sein, während der Ernte ist keine Zeit, um eine Hochzeit vorzubereiten«, erwiderte Ludwig Franken, »frühestens im Herbst, besser noch im nächsten Frühjahr.«
    Gertrud wusste, was ihren Vater umtrieb. Die Eltern der Braut richteten traditionell die Hochzeit aus und mussten zudem die Mitgift aufbringen. Wenn Gertrud nun als Erste heiratete, würde Paula, die ebenfalls schon verlobt war, auch nicht mehr warten wollen. Ludwig Franken hatte kein Geld für zwei Hochzeiten. Und so sehr sie sich danach sehnte, endlich ihr eigenes Leben zu beginnen, sie würde wohl warten müssen.
    »Wie wäre es denn«, unterbrach plötzlich Heinrichs Stimme ihre Gedanken, »wie wäre es denn, wenn Franz zunächst einmal, wie jeder anständige Mann, einen Beruf erlernte.« Diekleine Festgesellschaft hatte Heinrich beinahe vergessen. Seit dem Antrag hatte er sich nicht gerührt, er hatte auch nicht gratuliert, aber das war außer Gertrud und Franz niemandem aufgefallen. Was Heinrich sagte, musste in Ludwig Frankens Ohren richtig und vernünftig klingen und ihm Erleichterung verschaffen. Die Eheschließung würde sich auf diese Weise noch ein oder zwei Jahre aufschieben lassen. Das war nichts Besonderes. Im Krieg waren viele Paare jahrelang verlobt. Gertrud wurde übel. Dieser Mann war hinterhältig und scheinheilig. Seine ach so klugen Sätze bedeuteten in Wahrheit nichts anderes, als dass er seinen eigenen Bruder vom Hof jagte. Mit allen Konsequenzen.
    »Willst du nicht erst eine ordentliche Arbeit finden, ein Grundstück kaufen und ein Haus bauen, bevor du eine Familie gründest?«, setzte Heinrich nach. »Franz, ich rate dir als älterer Bruder, werde erst mal ein Mann in der Welt, bevor du ein Ehemann wirst.«

Der 100. Geburtstag – Freitag
Franz fliegt
    Gertrud schreckte auf, sie war im Ohrensessel eingenickt. Sie konnte den Sessel nicht ausstehen, er war unglaublich hässlich. Der Bezug war schmutzig weiß mit bunten Blumen, die aber kein erkennbares Muster formten, sondern wirkten, als hätte irgendein Schmierfink ein paar Kleckse auf den Stoff gemalt. Weil der Sessel eigentlich niemandem gefiel, hatte Katty eine nicht minder hässliche braune Decke darüber ausgebreitet. Er stand direkt neben der Heizung im Wohnzimmer. Das war im ersten Moment sehr angenehm, aber schlief man ein,

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