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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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ihre Kräfte nachließen. Etwa auf halber Strecke zurück zum Tellemannshof fand sie eine kleine Mauer und lehnte sich an, um zu Atem zu kommen. Es gab keinen Ort, an dem sie um Franz trauern konnte, kein Grab und keinen Friedhof. Vielleicht war das der Grund, warum sie doch immer wieder auf den Hof zurückgekehrt war, überlegte sie nicht zum ersten Mal. Hier hatte sie ihn lebendig erlebt, hier hatten sie sich verlobt. Wo sonst hätte sie ihn nach seinem Tod finden können? Lange hatte sie sich geweigert, das Haus noch einmal zu betreten, in dem Heinrich lebte. Aber Katty hatte keine Ruhe gegeben, bis Gertrud sie, knapp zwei Jahrzehnte nach Franz’ Tod, dort besuchte. Heinrich war auf Reisen gewesen, so hatte sie ihm nicht begegnen müssen. Aber bei diesem Besuch war ihr bewusst geworden, dass sie auf dem Tellemannshof Franz’ Seele finden konnte. Sie war, was den Hof betraf, nie ganz mit sich im Reinen gewesen, merkte aber, dass mit zunehmendem Alter der Zorn auf Heinrich die Oberhand gewann. Manchmal hatte sie in letzter Zeit früher als geplant den Hof verlassen müssen, dann hatte sie es nicht mehr ausgehalten, im selben Sessel zu sitzen, in dem auch der gesessen hatte, der Franz auf dem Gewissen hatte, dasselbe Bad zu benutzen, dieselben Wege zu gehen.
    Sie drückte sich vom Mäuerchen ab und nahm die letzten dreihundert Meter in Angriff. Hätte sie damals überzeugender sein müssen, als Franz ihr von der Fliegerei erzählte? Er war wie beseelt gewesen. Stundenlang hatte er geschwärmt, er wolle einen Regenbogen überfliegen, Gertruds Namen in den Himmel schreiben, und er hatte sogar eine größere Nähe zu Gott beschworen. Gertrud hatte die Augen verdreht und Franz von Dädalus und Ikarus, der zu selbstgefällig flog und abstürzte, erzählt. Aber Franz hatte sich wie ein Kind benommen, und Gertrud hatte sich eingeredet, dass Kinder einen besonderen Schutzengel hätten.
    Schweren Herzens hatte sie ihn ziehen lassen. Es sollte schließlich nicht für lange sein. Die deutschen Flieger galten als nahezu unschlagbar, sie waren Helden, Ritter der Lüfte, und kein anderes Land hatte so viele Flugzeuge wie das Kaiserreich. Wenn Franz auf Heimaturlaub war, wohnte er auf dem elterlichen Hof, verbrachte aber jede freie Minute mit Gertrud in Empel. Auf langen Spaziergängen berichtete er ihr von seinen Abenteuern in der Luft. Er war ein Meister darin, die Motorengeräusche zu imitieren. Und wenn er Gertrud erzählte, wie er seine Maschine in den Himmel hob, ahmte er die Laute so täuschend echt nach, dass Gertrud das Gefühl hatte, sie säße mit im Flugzeug. Manchmal, wenn sie die Augen schloss, konnte sie sogar einen kalten Lufthauch spüren. Die Luft sei dünner dort oben, erklärte er ihr, das verwirre die Gedanken. Es sei ein bisschen so, grinste er, als hätte man einen Schnaps zu viel getrunken. Gertrud zog ihn damit auf, dass er sein Flugzeug viel mehr liebe als sie. Da nahm er sie in den Arm und erzählte leise, wie er manchmal durch die Wolken schwebe und von der Zukunft träume. Sobald der Krieg vorbei wäre, würde er sich seinen Erbteil auszahlen lassen, dann würden sie zusammen nach Aachen gehen. Er würde studieren, und sie würden endlich eine Familie gründen.
    Gertrud hatte es inzwischen bis zum Hof geschafft. Sie stand im kleinen Flur und atmete schwer. Sie hatte sich übernommen. Als sie nach oben blickte, sah sie das überlebensgroße Porträt: Heinrich Hegmann guckte verantwortungsbewusst aus dem verzierten Goldrahmen. Eitel wirkte er, fand Gertrud, wie er so auf sie herabschaute, selbstgefällig geradezu. Damals hatte sie auch noch etwas wie Schuld in seinem Gesicht erkennen können. Schuld, Scham und Trauer.

13. Februar 1917
Ein apokalyptischer Reiter
    Sie wusste es in der Minute, als er auf den Hof nach Empel geritten kam. Natürlich, es konnte nur das sein. Was hätte er sonst bei ihnen zu suchen gehabt?
    Gertrud saß in der kleinen Küche über Näharbeiten gebeugt, nah am Fenster, damit sie an diesem diesigen Wintertag überhaupt etwas Licht hatte. Als sie das Geräusch von beschlagenen Hufen hörte, stand sie auf, um hinaussehen zu können. Der Reiter war hinter einem hochgeschlagenen Kragen und einem Halstuch versteckt, doch sie erkannte ihn sofort. Ob es daran lag, dass nur die Pferde reicher Leute beschlagen waren? Oder hatte sie das Pferd erkannt? Was auch immer es war, sie wusste, dort stand Heinrich, und sie wusste auch, dass das nichts Gutes verhieß.
    Heinrich war offenbar den

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